EuGH-Entscheidung zum Datenbankrecht
Der Europäische Gerichtshof hat sich in Antwort auf eine Anfrage des Bundesgerichtshofs für eine weite Auslegung der EU-Datenbankrichtlinie von 1996 ausgesprochen. Dem EuGH zufolge kann die Übernahme von Elemente einer Datenbank aus einer Bildschirmanzeige eine Rechtsverletzung darstellen.
Die Directmedia Publishing GmbH streitet sich mit der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und dem dort beschäftigten Professor Ulrich Knoop seit Jahren über die Rechtmäßigkeit oder Unrechtmäßigkeit der Nutzung einer Liste mit den Titeln der “1100 wichtigsten Gedichte der deutschen Literatur zwischen 1730 und 1900”. Diese Liste wurde von Knoop im Rahmen seiner Mitarbeit im Projekt “Klassikerwortschatz” an der Universität Freiburg in zweieinhalb Jahren Arbeit erstellt. Knoop wertete dafür eine Reihe von Gedichtssammlungen statistisch aus. Diese Arbeit ließ sich die Universität 34.900 Euro kosten. Das Ergebnis, die Liste mit den Gedichttiteln, publizierte die Universität im Internet; sie ist öffentlich zugänglich. Der Urheberschutz an den Gedichten selbst ist abgelaufen, sie sind gemeinfrei im Sinne des Urheberrechts.
Directmedia nutzte nun diese Liste bei der Zusammenstellung von 876 Gedichten, die auf der CD-ROM “1000 Gedichte, die jeder haben muss” im Jahr 2002 veröffentlicht wurden. Nicht alle auf der Liste genannten Gedichte wurden auf die CD-ROM übernommen, zudem wurden auch Gedichte ausgewählt, die nicht in der Liste standen. In jedem Fall sahen Knoop und sein Arbeitgeber ihre Schutzrechte aus dem Datenbankschutz verletzt, Knoop seine Rechte als Schöpfer der Liste und die Universität als Inhaber der Leistungsschutzrechte. Sie fordern Schadensersatz und die Vernichtung der noch im Besitz von Directmedia befindlichen CD-ROMs mit der Gedichtsammlung.
Der Streit um die Gedichtsammlung ist schließlich 2007 vor dem Bundesgerichtshof gelandet. Da der BGH sich nicht sicher war, ob es zu einer unzulässigen “Entnahme” von Daten im Sinne der Richtlinie gekommen ist, das heißt ob der auf Grundlage der Datenbankrichtlinie im deutschen Urheberrecht verankerte Datenbankschutz im konkreten Fall greifen würde, wandte er sich in dieser Frage an den EuGH.
Der EuGH hat nun am 9. Oktober grundsätzlich entschieden, dass “die Übernahme von Elementen aus einer geschützten Datenbank […] aufgrund einer Bildschirmabfrage der ersten Datenbank und einer im Einzelnen vorgenommenen Abwägung der darin enthaltenen Elemente eine ‘Entnahme’ im Sinne […] der Richtlinie […] sein kann, soweit es sich […] um die Übertragung eines in qualitativer oder quantitativer Hinsicht wesentlichen Teils des Inhalts der geschützten Datenbank oder um die Übertragung unwesentlicher Teile handelt, die durch ihren wiederholten und systematischen Charakter möglicherweise dazu geführt hat, dass ein wesentlicher Teil dieses Inhalts wiedererstellt wird”. Es sei nun Sache des BGH festzustellen, ob im Fall Directmedia eine unzulässige Entnahme erfolgt ist, was nach der EuGH-Auffassung und nach Lage der Dinge kaum zu bezweifeln ist.
Darüber hinaus hielt der EuGH in seiner Entscheidung fest, dass für den Fall einer marktbeherrschenden Stellung des Datenbankanbieters die kartellrechtlichen Vorschriften der EU greifen würden. Wenn eine Datenbank im Internet abgefragt werden kann, gibt es aus Sicht des EuGH außerdem keinen grundlegenden Konflikt mit dem Recht auf Informationsfreiheit.
Durch die EU-Datenbankrichtlinie 96/9/EG werden Datensammlungen unabhängig von der Schutzfähigkeit ihres Inhalts selbst geschützt, wenn “für die Beschaffung, die Überprüfung oder die Darstellung ihres Inhalts eine in qualitativer oder quantitativer Hinsicht wesentliche Investition erforderlich ist”. Der Hersteller einer geschützten Datenbank – im konkreten Fall die Universität Freiburg als Geldgeber – hat dann das ausschließliche Recht, “die Entnahme und/oder die Weiterverwendung der Gesamtheit oder eines in qualitativer oder quantitativer Hinsicht wesentlichen Teils des Inhalts dieser Datenbank zu untersagen”.
Die Einführung eines Sonderschutzes für Datenbanken (via Wikipedia) war von Anfang an umstritten. Bei der ersten 2005 durchgeführten Evaluation der Auswirkungen der Richtlinie konnte die EU-Kommission keine Erfolge vermelden. Vielmehr musst sie feststellen (PDF): “Ursprünglich dazu eingeführt, die Erstellung von Datenbanken in Europa zu stimulieren, hat das neue Instrument keinen nachweisbaren Einfluss auf die Produktion von Datenbanken gehabt.
Sollte der BGH nun gegen Directmedia entscheiden, wäre allerdings gezeigt, dass die Datenbankrichtlinie die Produktion von Gedichtdatenbanken in mindestens einem Fall behindert hat.
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