Die VG Wort stellt sich taub
Bei der Verwertungsgesellschaft Wort (VG Wort) können Autoren und Journalisten eine Vergütung für Texte erhalten, die im Internet veröffentlicht werden. Das Geld kommt aus der sogenannten Reprographie-Abgabe, die Hersteller von Geräten und Speichermedien an die VG Wort abführen müssen. Mit dieser Zwangsabgabe sollen die Autoren dafür entschädigt werden, dass unkontrollierbare, aber legale private Kopien ihrer Texte hergestellt werden, etwa wenn jemand den Text von einer Internetseite kopiert und auf dem PC speichert. Das Geld, das an die Urheber fließen soll, ist also kein Honorar für Internetveröffentlichungen, sondern eine Entschädigung für sogenannte Zweitnutzungen.
Bei der VG Wort heißt dieser Dienst „Meldesystem für Texte auf Internetseiten“ (METIS), sein Etat gehört zum Wissenschaftstopf, aus dem Fachbücher und Fachzeitschriften vergütet werden. Die Summe, die für das Jahr 2007 an insgesamt 401 Autoren und 19 Verlage ausgeschüttet wurde, 114.282 Euro, entsprach einem Anteil von weniger als 0,5 Prozent an diesem Topf, der in der Kombination von Reprographieabgabe und Bibliothekstantieme knapp 25 Millionen Euro enthielt.
Für das Jahr 2008 haben die Zahlen sich zwar verzehnfacht: 4.000 Autoren und Verlage haben etwa 100.000 Internetseiten bei der VG Wort angemeldet. Ausgeschüttet wurden dennoch „weniger als fünf Prozent der bisher eingenommenen CD- und DVD-Brenner-Vergütung“, wie VG-Wort-Autorenvertreter Rüdiger Lühr in der Zeitschrift „M – Menschen machen Medien“ berichtet. Wegen der bislang geringen Beteiligung, lautet die offizielle Begründung.
Zählpixel, Identifikationscodes und Sonderausschüttungen
Wie kommt man in den Genuss einer solchen Zweitvergütung? Wer glaubt, er bräuchte bloß mit der VG Wort einen Wahrnehmungsvertrag abzuschließen und ihr mitzuteilen, unter welchem Namen er im Internet Texte veröffentlicht, der täuscht sich. So einfach macht die VG Wort es nur Printjournalisten.
Online-Autoren müssen in jeden einzelnen ihrer Texte ein sogenanntes „Zählpixel“ einbauen. Das ist ein kleiner Leuchtpunkt, der mit bloßem Auge nicht zu erkennen ist (nämlich nur ein einzelnes Pixel auf dem Bildschirm). Aber jedes Mal, wenn die Seite angeklickt wird, wird ein Signal an die VG Wort gesendet. Dort wird automatisch mitgezählt. Wenn die Anzahl der Seitenaufrufe innerhalb eines Jahres eine bestimmte Schwelle überschreitet, fließt im Folgejahr Geld an den Urheber.
Für das Jahr 2008 lag diese Schwelle bei 1.500 Seitenaufrufen. Leider ist der Einbau eines Zählpixels so kompliziert, dass er sich für Autoren nur dann lohnt, wenn sie tatsächlich hohe Klickraten zu erwarten haben.
Für alle anderen bleibt Plan B: Sie können für das Jahr 2009 wiederum an der sogenannten METIS-Sonderausschüttung teilnehmen. Die ist für solche Autoren gedacht, denen es nicht möglich ist, in die Seite, auf der ihre Texte veröffentlich sind, ein Zählpixel einzubauen.
Dabei geht es nicht um das technische Können, sondern um die Frage, ob die entsprechende Domain dem Autor selbst gehört oder jemand anderem. Der Autor hat nämlich keinen Rechtsanspruch darauf, dass der Anbieter einer Seite, der seinen Text veröffentlicht, ein Zählpixel der VG Wort einbaut. Einen Anspruch auf Teilhabe an den Zahlungen hat er trotzdem, da es sich um eine gesetzliche Vergütung handelt.
Deshalb gibt es die Sonderausschüttungen – auch wenn hier lediglich pauschal 3 Euro pro Text ausgezahlt werden. Wenn aber der Anbieter einer Seite am METIS-Verfahren teilnimmt, ist eine Teilnahme an der Sonderausschüttung nicht mehr möglich – auch nicht für den Autor.
Wenn beispielsweise ein Zeitungsverlag Texte seiner Autoren auf den eigenen Internetseiten veröffentlicht und dabei Zählpixel der VG Wort einbaut, bleibt nur der Weg über die reguläre METIS-Ausschüttung. Der Verlag ist dann gehalten, die Karteinummer, unter der seine Autoren bei der VG Wort geführt werden, in das Content-Management-System der Redaktion einzupflegen.
Wird der Text oft genug angeklickt, um für die Ausschüttung in Frage zu kommen, erhält der Autor im Folgejahr automatisch eine Benachrichtigung – vorausgesetzt, er hat sich seinerseits beim Metis-System der VG Wort registriert. Wenn die VG Wort keine Karteinummer mitgeteilt bekommt, geht sie davon aus, dass der Verlag dem Autor einen mit der Zählmarke zusammen ausgelieferten persönlichen Identifikationscode zur Verfügung gestellt hat, mit dem dieser dann über das System Anspruch auf seinen Teil der Tantieme erheben kann.
Software-Schrott und Server-Crashes
Von Autoren, die bereits von der regulären Metis-Ausschüttung profitiert hätten, hat man in Journalistenkreisen bislang allerdings selten gehört. Die VG Wort beantwortet Anfragen nach entsprechenden Zahlen nicht. Anbieter wie akademie.de, die Autoren kein Honorar, sondern eine Werbe-Erfolgsbeteiligung zahlen, haben zwar erkannt, dass ihre Autoren sich freuen könnten, über die VG Wort „ein zusätzliches Nebeneinkommen“ zu erhalten.
Die großen Verlage aber winkten zunächst ab. stern.de verschickte im Jahr 2008 diverse sogenannte „Vorpixel“ an seine Autoren, mit denen diese sich bei der VG Wort registrieren sollten, teilte später jedoch mit, das Zählsystem der VG Wort sei mit dem eigenen Content-Management-System inkompatibel. Auch Frank Patalong, der bei Spiegel Online die Redaktion Netzwelt leitet, sagt: „Die Software, die die VG Wort zur Verfügung gestellt hat, hat einfach nicht funktioniert. Die Server waren auf Profi-Seiten überhaupt nicht eingerichtet. Die wären sofort zusammengebrochen, wenn wir auch nur einen Bruchteil unserer Texte gemeldet hätten.“
Spiegel Online veröffentlicht an einem Wochentag etwa 140 Artikel, die insgesamt über 25 Millionen Mal angeklickt werden. Damit war das METIS-System offenbar überfordert. Im September 2008 streckte die VG Wort endgültig die Waffen, genauer: meldete ihr Software-Lieferant Insolvenz an, „ohne dass es vorher zur Übergabe eines funktionsfähigen Softwareprogramms gekommen wäre“, wie es im Geschäftsbericht für 2008 heißt.
Den Autoren ließ man über ihre Berufsgruppen-Vertreter ausrichten, sie hätten ganz viel Geld bekommen können, hätten sich nicht die Verlage geweigert, das Zählpixel ordentlich einzubauen.
„Neues Konzept“ für Metis 2010
2009 soll nun aber alles anders werden. Auf der Basis „eines neuen Konzeptes“ sei bereits im Dezember 2008 „ein neues, lauffähiges, einfacher und besser arbeitendes Programm eingesetzt“ worden. 2009 ist also das erste Jahr, in dem METIS halbwegs „normal“ laufen soll – wissen wird man es erst ab Juni 2010, wenn die VG Wort die Meldungen ausgewertet und die neuen Klickschwellen für die Ausschüttung festgelegt hat.
Aber immerhin: Seit 2009 beteiligen sich etliche große Websites an dem Programm: neben Spiegel Online etwa auch focus.de oder sueddeutsche.de. Nun wird es auch für die Autoren spannend: Haben die Verlage die VG-Wort-Karteinummern ihrer Autoren ins Redaktionssystem eingepflegt?
Bei Spiegel Online sind nach Auskunft von Netzwelt-Leiter Frank Patalong sämtliche Autoren angeschrieben worden, gegebenenfalls sogar mehrfach. Auch die Betreiber des Gruppenblogs CARTA erkundigen sich nach den Karteinnummern ihrer Autoren. Aber tun es auch die klassischen Printmedien, die vielen Tageszeitungen und -zeitschriften, die Texte aus ihren Printausgaben parallel ins Internet stellen? Oder teilen sie ihren Autoren persönlichen Identifikationsnummern mit, die zu den Zählmarken gehören?
Wenn die Autoren nämlich, aus welchen Gründen auch immer, keinen Anspruch auf ihre Tantiemen erheben, erhält der Verlag trotzdem Geld: mehr als 40 Prozent der Vergütung, die für den entsprechenden Text entfallen. „Die Verlagstantieme ist nicht davon abhängig, dass die Urheber ihren Tantiemenanteil tatsächlich in Anspruch nehmen“, heißt es in der Information für Verlage.
Ausschüttung an „Raubkopierer“
Interessant ist auch, was geschieht, wenn ein Text ohne Genehmigung des Urhebers im Internet veröffentlicht wird. Wenn also der Anbieter einer Internetseite sich bei der VG Wort als „Verlag“ registriert (darunter fallen Seitenbetreiber jeder Art), Zählpixel erhält und nun den Text eines Autors ohne dessen Erlaubnis auf seiner Seite veröffentlicht. Der Text wird dann für die Sonderausschüttung gesperrt.
Will der Urheber ihn dennoch melden, erhält er vom System eine automatische Benachrichtigung: „Der Seitenbetreiber des von Ihnen im Rahmen der Sonderausschüttung gemeldeten Textes beteiligt sich bereits an der regulären Ausschüttung (mit Zugriffszählung). Eine Meldung von Texten auf dieser Seite ist somit im Rahmen der Sonderausschüttung nicht mehr möglich bzw. erforderlich.“
Auf die Frage, was man als Urheber in einem solchen Fall tun müsse, um sicherzustellen, dass die entsprechende gesetzliche Vergütung nicht an den Rechtsverletzer ausgeschüttet wird, erhält man von der VG Wort eine eindeutige Antwort: „Wenn es bei der Übernahme der Texte rechtliche Probleme gibt, ist die VG WORT der falsche Ansprechpartner dafür. Sie müssen dann einen Anwalt einschalten, bzw. den Seitenbetreiber auffordern, die fraglichen Texte von der Seite zu entfernen“, teilt Abteilungsleiterin Annette Wagner mit.
Besondere Brisanz erhält dieses Thema dadurch, dass auch große Verlage immer wieder Texte ihrer Autoren ohne deren Genehmigung im Internet verwerten. Doch Geschäftsführer Rainer Just bestätigt, dass die VG Wort „aus Effizienzgründen“ auch in diesem Fall nicht in der Lage sei, an den eigentlichen Rechteinhaber auszuschütten.
Vielmehr müsse die Verwertungsgesellschaft „zunächst einmal grundsätzlich annehmen, dass die Rechte sowohl beim Autor als auch beim Verlag liegen. Wir können nicht die individuelle vertragsmäßige Übertragung von Rechten vom Autor zum Verlag überprüfen und dokumentieren.“
Autoren werden doppelt übergangen
Der Autor einer solchen Veröffentlichung wird also doppelt übergangen: Nicht nur hat er für die ungenehmigte Online-Nutzung seines Textes kein Honorar erhalten, sondern er muss auch noch hinnehmen, dass die VG Wort einen Teil der Vergütung, die ihm für private Kopien gesetzlich zusteht, an einen Rechtsverletzer ausschüttet. Dem Urheber entgehen auf diese Weise gut 40 Prozent seines Geldes.
Auch hat er keine Möglichkeit, die für seinen Text gemessene Anzahl der Klicks, die schließlich die Grundlage für eine eventuelle Ausschüttung bildet, zu kontrollieren. Auf das Zählpixel hat er keinen Zugriff, und die VG Wort gibt ihm über die Klickzahlen keine Auskunft.
Seitenbetreiber und Verlage versichern zwar bei Abschluss des entsprechenden Vertrags mit der VG Wort, „Inhaber von Nutzungsrechten an den von uns elektronisch gemeldeten Veröffentlichungen“ zu sein. Theoretisch können „unvollständige oder unrichtige Angeben“ sogar zum „Ausschluss von der Verteilung“ führen. Tatsächlich jedoch kontrolliert die VG Wort die Angaben der Seitenbetreiber nicht.
Ist aber die VG Wort schuld, dass Verlage und sonstige Seitenbetreiber Texte ohne Genehmigung der Autoren im Internet veröffentlichen? Ist es ihre Aufgabe, gegen „Raubkopien“ vorzugehen? Das nicht. Für Erstverwertungen, ob legal oder illegal, ist die VG Wort nicht zuständig. Ihre Ausschüttungen sind kein Ersatz für Honorare, die Verlage oder Seitenbetreiber an Urheber zu zahlen haben.
Sie werden für sogenannte Zweitnutzungen gezahlt, also für unkontrollierbare Privatkopien. Die sind in der Regel legal. Da aber der einzelne Urheber nicht kontrollieren kann, wie oft sein Text kopiert oder gespeichert wird, steht ihm für solche Nutzungen eine gesetzliche Vergütung zu. Die VG Wort ist vom Gesetzgeber ermächtigt, dieses Geld treuhänderisch zu verwalten.
Wenn sie das Zählpixel, das zur Anmeldung des Textes für die METIS-Ausschüttung berechtigt, vergibt, ohne sich den Erwerb der erforderlichen Nutzungsrechte nachweisen zu lassen, und dann den Urheber nicht an der Ausschüttung beteiligt, steht es allerdings mit der treuhänderischen Verwaltung nicht zum Besten.
Natürlich kann der betroffene Autor, wie die VG Wort es ihm rät, gegen den Rechtsverletzer klagen und von diesem auch den unrechtmäßig eingestrichenen VG-Wort-Anteil zurückfordern – was sich bei einem einzelnen Text kaum lohnen dürfte.
Womöglich erfährt er aber nicht einmal davon. Wenn schon die eigentliche Veröffentlichung im Internet ungenehmigt erfolgt ist, wird der Rechtsverletzer wohl kaum große Anstrengungen unternehmen, ihn auf die METIS-Vergütung für unkontrollierbare Zweitnutzungen hinzuweisen.
Das Urheberrecht wieder vom Kopf auf die Füße stellen
Dabei könnte die VG Wort ganz leicht einen nützlichen Beitrag dazu leisten: Sie könnte die Ausschüttung an Seitenbetreiber daran koppeln, dass auch der Autor seinen Anteil der Tantieme beansprucht. Tatsächlich tut sie genau das Gegenteil: Sie wirbt gegenüber den Seitenbetreibern sogar damit, dass dies keine Voraussetzung für eine Teilnahme an der Ausschüttung sei.
Oder sie könnte, was noch einfacher wäre, sich von den Autoren selbst Auskunft über die Rechteeinräumung geben lassen. Das Urheberrecht ist schließlich grundsätzlich nicht übertragbar – es liegt immer bei den Autoren. Folglich wissen diese am besten, wem sie Nutzungsrechte abgetreten haben und wem nicht.
Nichts wäre einfacher, als den Autor eines Textes auf dem elektronischen Meldeformular, wo er ohnehin die Adressen der Webseiten angeben muss, auf denen sein Text einsteht, ein Kreuzchen setzen zu lassen, um anzuzeigen, ob er der entsprechenden Seite das Recht zur Veröffentlichung eingeräumt hat oder nicht.
Die Zweitverwertungsvergütung könnte dann an den Rechteinhaber ausgeschüttet werden – egal, ob die Erstnutzung legal ist oder nicht. Das würde helfen, das Urheberrecht wieder „vom Kopf auf die Füße zu stellen“, wie VG-Wort-Geschäftsführer Robert Staats unlängst in einer Sonntagsrede formulierte.
1 Kommentar
1 klaus schampaul am 10. Februar, 2019 um 08:01
VGWort, hat mich verarscht. 2017 Zählmarken in mein cms eingebaut. 2019 die Meldung angestoßen. X Mails geschrieben wieso meine Zählmarken nicht gelesen werden. Letzte Antwort wir sind technisch nocht in der Lage ihre Texte zu zählen.
Aller Aufwand war umsonst.
Beste Grüße aus Köln
Klaus Schampaul
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