Warten auf das Geisteralbum
Dann kam Andrew Harms. Der DJ bei The End 107.7, einem auf „Alternative Rock“ spezialisierten Radiosender in Seattle, hatte die Aufnahmen in die Finger bekommen. Wie, sagt er nicht. Seit er begonnen hat, sie zu spielen, rast eine neue Welle der Fiona-Apple-Begeisterung durchs Netz.
Inzwischen ist es kein Problem mehr, alle elf Songs des Albums in bester Qualität in Tauschbörsen zu finden. Doch nicht nur das: es gibt auch Websites, von denen man die Stücke direkt herunter laden kann. Normalerweise eine Einladung an die Anwälte der Plattenfirma, die Anbieter mit Abmahnungen zu überhäufen. In diesem Fall ist nichts passiert. Ist das Ganze vielleicht nicht mehr als eine ausgeklügelte Marketingmasche?
DJ Andrew Harms, der selber noch keinen Anruf von Sonys Rechtsabteilung bekommen hat, bestreitet, Teil einer Kampagne zu sein. „Es ist tolle Musik, und ich denke, so viele Menschen wie möglich sollten sie hören“, sagte er zu Wired News. „Ob Sony das Album veröffentlicht oder die Leute es übers Internet bekommen, ist mir egal – jedenfalls ist es ganz sicher nicht gemacht worden, um im Regal zu verstauben.“
Auf der Suche nach der Single
Jon Brion, Fiona Apples Produzent, sagte dem „Rolling Stone“ bereits im März 2004, das Album sei fertig und warte darauf, veröffentlicht zu werden. Doch die Epic-Manager seien „noch auf der Suche nach einer Single“. Wie lange das dauern werde, könne er nicht sagen: „Sie nehmen sich soviel Zeit, wie sie wollen – das ist wie ein schwarzes Loch.“ 1998 war Apple mit einem Grammy ausgezeichnet worden, dazu kamen zwei MTV Video Music Awards. Offenbar nicht genug, um die Musikmanager von ihrer Qualität zu überzeugen.
In einer E-Mail an Wired News äußerte sich ein Manager von Epic Records nicht dazu, ob es nun legal sei oder nicht, ein unveröffentlichtes Album im Radio zu spielen oder im Internet anzubieten, sondern schreibt: „Fiona hat bisher ihr nächstes Album noch nicht an Epic geliefert, aber wir warten gemeinsam mit den Musikfans ungeduldig auf ihre nächste Veröffentlichung.“
Vielleicht sollte er es in einer Tauschbörse versuchen. Big Champagne, eine Marktforschungsfirma, die misst, welche Songs bei Kazaa & Co am beliebtesten sind, hat festgestellt, dass zu jedem beliebigen Zeitpunkt 30.000 Nutzer einen der Songs aus Apples „Extraordinary Machine” abrufen. Ziemlich viel für Musikstücke, die es gar nicht gibt.
Geniales Marketing oder kommerzielle Fehleinschätzung?
Mark Morford, Musik-Kolumnist bei SFGate.com, dem Online-Angebot des San Francisco Chronicle, schäumt: "Die faulen Säcke bei den Plattenfirmen diktieren dem Publikum ihren Geschmack auf der Grundlage von engen, zutiefst ignoranten Kriterien, abhängig von Marketing und Geld und der Angst vor dem, was neu und andersartig ist." Aber er fragt auch: „Oder ist das der dümmste Marketing-Test der Geschichte?“
Wenn ja, sieht es allerdings so aus, als habe er Erfolg. Die Apple-Fans sind kurz vorm Durchdrehen. Auf Websites wie freefiona.com und fionaapple.org betteln sie geradezu darum, endlich Geld ausgeben zu dürfen für die CD, und organisieren Petitionen und Posterkampagnen. Selbst vor dem Sony-Hauptquartier in New York haben einige von ihnen bereits protestiert, bei „einer gefühlten Temperatur von minus 24 Grad“, wie Dave Muscato, Gründer der freefiona-Kampagne, berichtet.
Vielleicht sind die Musik-Manager auch einfach nur eingeschnappt. In ihrem Song „Please Please Please“, ebenfalls auf dem Phantom-Album „Extraordinary Machine”, singt Fiona Apple mit unverkennbarer Ironie: „Bitte, bitte, bitte, keine Melodien mehr – sie bewirken nichts, sind unbedeutend, bereits ausgedacht. Gebt uns Vertrautes – ähnlich dem, was wir kennen; das wird uns ruhig halten. Ruhig, auf dem Weg nach Nirgendwo.“
Update (7.4.2005) Einige Betreiber von Webseiten, die MP3s von Fiona Apples „Extraordinary Machine“ zum Download angeboten haben, mussten sie inzwischen entfernen. Die Recording Industry Association of America (RIAA), der Verband der großen Plattenfirmen in den USA, hatte sie dazu aufgefordert und mit Schadenersatzklagen gedroht für den Fall, dass sie diese Aufforderung missachten.
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