Stefan Niggemeier im „Spiegel“ zur Debatte um das Urheberrecht
„Raubkopie – Das ganze Elend der Urheberrechts-Diskussion steckt in diesem einen Wort”, so lauten Überschrift und Untertitel des Beitrages von Stefan Niggemeier, der in der heutigen Ausgabe des Print-„Spiegels“ erschienen ist. Niggemeier bilanziert die Widersinnigkeit von Begrifflichkeiten, die Interessen der Beteiligten und analysiert das Verhältnis zwischen Kunden und Anbietern. Ein lesenswerter Beitrag und deswegen eine Kaufempfehlung für den heutigen Spiegel.
Zum Begriff „Raubkopie” führt Niggemeier aus:
Das Bild von der Raubkopie ist falsch. Ein Raub ist im Grundsatz das gewaltsame Wegnehmen fremder Sachen. Es lässt sich schon darüber streiten, ob beim ungenehmigten Kopieren jemandem tatsächlich eine Sache weggenommen wird. Ganz sicher aber lässt sich feststellen, dass ihm dabei keine Gewalt angetan wird. Wenn wir von Raubkopierern sprechen, machen wir aus Menschen, die einen Inhalt ungenehmigt nutzen, Gewalttäter.
Erst durch die Verwendung dieses Begriffes sieht der Autor eine gefühlt geschaffene Legitimation für drastische Sanktionen gegen die, die man so bezeichnet. Das Ziel, mit Hilfe der Sprache zu diskreditieren und Sanktionsmaßnahmen mehrheitsfähig zu machen, sei aber vollends gescheitert, denn, vielen Menchen sei durch Kampagnen wie “Raubkopierer sind Verbrecher” bewusst geworden, dass:
Jemand der so offensichtlich unlauter argumentiert, konnte nicht im Recht sein.
Dies sei einer der Gründe dafür, dass der Graben zwischen den Rechteverwertern auf der einen, und dem Publikum auf der anderen Seite so tief sei. Niggemeier kritisiert die Rechteindustrie dafür, dass sie davon ausgehe, ein „gottgebenes Recht“ zu haben, den Umgang mit ihren Werken vollständig zu kontrollieren. Sie tue so, „als seien Schwarzkopien verantwortlich für ihren Niedergang”.
Weiter kritisiert der Autor dass die Nutzer als Kunden in der Debatte „an den Rand gewischt werden”. Die Unterhaltungsindustrie habe den alten Leitsatz „Der Kunde ist König” ignoriert, denn:
Sie haben ihre Angebote künstlich verknappt oder das, was der Kunde wollte, nur im Paket mit dem angeboten, was der Kunde nicht wollte. Nicht der Kunde war König, sondern der eigene Profit. Dann kam das Internet.
Nun war der Kunde plötzlich machtvoller Mitentscheider über das was er haben wollte und was nicht. Angebote die dem nicht entsprachen wurden unattraktiv. Niggemeier fasst zusammen:
Es ist nicht so, dass die Menschen im Internet alles kostenlos wollen. Aber sie wollen alles, und zwar sofort. Sie wollen nicht mehr warten bis ihre amerikanische Lieblingsserie mit Monaten Verspätung in Deutschland als DVD oder zum Download angeboten wird. Und wenn sie nicht legal zu bekommen sind, nehmen viele sie auch illegal.
Schärfere Sanktionen als Reaktion seien der falsche Weg, vielmehr müsse aus der Nachfrage der Kunden ein Markt geschaffen werden. Dies zeige nicht zuletzt der Erfolg von Apples iTunes beim Download von Musik. Dies gehe mit einem kontrollierten Kontrollverlust einher. Wie problematisch die Frage der Kontrolle in Zukunft sein wird, deutet Niggemeier mit dem Hinweis auf die “Verwirklichung der kühnsten Kontrollträume der Produzenten und Veranstalter” an. Kontrollverlust um den Markt zu befeuern auf der einen, maximale Kontrolle und Verwertungsmöglichkeiten durch den Einsatz von ausgeklügelten Mechanismen des Digitalen-Rechte-Managements (DRM) auf der anderen Seite, werden in der Zukunft eine der zentralen Fragen der Verteilung und Verwertung von digitalen Gütern sein. Hierzu wären weitere Ausführungen von Niggemeier wünschenswert gewesen, vielleicht ja in einem der nächsten Artikel.
Niggemeier widmet sich auch der sprachlichen Bedeutung und Verwendung des Begriffes ‘Eigentum’ bzw. des ‘geistigen Eigentums’ und betont nochmals den Unterschied des analogen Eigentums durch die Art der Verwendungsmöglichkeit im Unterschied zu den Verwendungsmöglichkeiten von erworbenen Waren des ‘geistigen Eigentums’. Letzterer sei eine “interessensgesteuerte Metapher”.
Am Ende seines Beitrages geht Niggemeier auf die aktuelle Diskussion zur geplanten Einführung eines Leistungsschutzrechtes für Presseverlage ein. Er schreibt:
Ein Grund warum die Debatten um das Urheberrecht so furchtbar und fruchtlos sind, liegt darin, dass es missbraucht wird. Das geplante Leistungsschutzrecht zeigt es. Mit größter Verbissenheit haben die Verlage dafür gekämpft, als wären Angebote wie Google News für die Probleme der Verlage verantwortlich. Sie sind es nicht, und ein Leistungsschutzrecht wird die Probleme nicht lösen.
Er macht dabei zudem deutlich, dass die “Rechteverwerter keine glaubwürdigen Vertreter der Interessen der Urheber” seien. Dies zeige sich beispielsweise daran, dass die Zeitungs- und Zeitschriftenverlage “den Urhebern Verträge zu ihrem Nachteil diktieren wollen, die von Gerichten als gesetzeswidrig kassiert wurden.
Niggemeier schließt mit der Feststellung, dass es nicht Sorge der Industrie sei, dass in Zukunft keine kreativen Werke mehr entstehen, die Sorge sei vielmehr die, dass mit diesen Produkten nicht mehr so viel Geld wie bisher zu verdienen sei: “Sie kämpfen nicht für das Urheberrecht, sondern für ein Profitschutzrecht”.
9 Kommentare
1 André Fiebig am 11. März, 2012 um 18:33
Als lesenswerte Ergänzung und zum besseren Verständnis des Urheberrechts dient glaube ich der Artikel von Thomas Stadler : http://www.internet-law.de/2012/03/mussen
2 Stefan am 11. März, 2012 um 19:55
Wenn das so ist: warum nicht gleich Niggemeiers Artikel hier gleich posten? Er lebt ja von den Spiegel Verlag überlassenen Leistungsschutzrecht des Artikels. Hypocrite-.
3 ed. cetera Verlag Leipzig am 11. März, 2012 um 23:31
Wir sind ein kleiner, neu gegründeter Verlag, und auch uns stellen sich die Fragen von Urheberrechten und geistigem Eigentum, gerade vor dem Hintergrund des Booms der eBooks. Wichtig finden wir hier den Hinweis, dass es derzeit eine Art doppeltes Paradigma gibt, dass noch einer Auflösung harrt: Kontrollverlust zur Marktbefeuerung hier vs. maximale Kontrolle und DRM da. Ob sich eine (Vor-)Entscheidung allerdings an BigPlayern wie iTunes ablesen oder auch nur wünschen lässt, darf allerdings bezweifelt werden. Zwar arbeiten wir – was gewiss nicht der Normalfall in unserer Branche ist – mit offenen Lizenzen und bieten, auch wenn wir gerade erst mit dem literarischen Geschäft begonnen haben, unseren – formal im Übrigen höchst außergewöhnlichen – Romanerstling komplett kostenlos und mit einer CC-Lizenz versehen online zum Lesen und Herunterladen an, aber in welche Richtung sich das entwickelt, ja ob sich da überhaupt ein längerfristiges ökonomisches “Modell” draus stricken lässt, werden erst die konkreten Erfahrungen zeigen. Und da helfen die von iTunes wahrscheinlich nur sehr bedingt weiter, auch wenn wir natürlich auf die – nicht nur monetäre – Wertsteigerung durch Kontrollverlust setzen.
4 dot tilde dot am 12. März, 2012 um 13:52
@3 (ed. cetera):
die inhalte werden morgen nicht mehr der grund sein, warum unsere kunden uns geld geben.
bezahlen werden sie für erlebnis, kontext und vermittlung.
geschäftsmodelle, die sich auf diese kernkompetenzen verlegerischen handelns konzentrieren, halte ich für überlebensfähig. zum teil sogar für hoch profitabel.
wie sich diese aspekte des verlegens genau ausgestalten lassen, lässt sich nur schwer vorstellen, wenn man auf die altvorderen hört und sie im namen der branche gegen windmühlen kämpfen lässt.
danke für ihren kritischen geist und viel erfolg!
mkg,
.~.
5 Werner Weith am 13. März, 2012 um 12:29
Eine sehr gute Darstellung! Nur wenn man bedenkt, dass große Internetfirmen ihre Macht ungehemmt ausnutzen um den Profit zu steigern, so ist die Waffe der kleinen Nutzer-eben die Raubkopie. Ich hatte einmal das Vergnügen die englischsprachige Version von Office aus den USA zu kaufen um dann durch den Rechteinhaber (MS) über die Unzulässigkeit belehrt zu werden. Man hat nämlich die grünen Männchen (die Zollverwaltung) als Handlanger dahingehend abgerichtet Sendungen die den Vermerk tragen” nur zum Verkauf in USA” zu vernichten. Das ganze Drama habe ich dann unter der Rubrik Der lange Arm von Onkel SAM unter Ratgeber bei eBay eingestellt. Da es offenbar sehr vielen Käufern ähnlich ergangen ist, ist diese Seite bzw. die Geschichte 3000 mal abgerufen worden. Nur die Rendite zählt!
Gruß Werner Weith
6 ed. cetera Verlag Leipzig am 13. März, 2012 um 15:48
@ dot tilde dot
Wenn nicht mehr die Inhalte der Grund sind, für den wir als Verlag Geld vom Kunden bekommen, so sind wir geneigt zu sagen, wir verzichten auf das Verlegen von Büchern – und damit auch auf das Geld.
Um nicht falsch verstanden zu werden: Nichts gegen Erlebnis,Kontext, Vermittlung, aber die Worte klingen auch so schon oft heller als die Sachen, von denen sie handeln. Auf die Sachen (Inhalte) aber ganz zu verzichten, wäre – in unserem Falle – der Sieg des Marketing über die Literatur. Und das ist, bei allem Wunsch nach Publizität, fernab von unserem Interesse.
In diesem Sinne, mit den besten Grüßen aus Leipzig,
das Team vom ed. cetera Verlag
7 Antonius R. am 13. März, 2012 um 20:39
Online-Raubritter Niggemeier im Sprung über Balken, die er als Hindernis der Rechtskultur auslegt.
Er hat das Urheberrecht und die gesamten, schwierigen, querfinanzierten Vertriebsmöglichkeiten im Print-Bereich nicht verstanden; bis hinein in die blöd-trockenen (ausgetrockneten) Gefilde einer Stadtbücherei..
Wahrxcheinlich l i e s t er auch kein Buch, nicht mal das BGB – z. B. über Wiki.
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