Urheberrecht ist ein Schwerpunkt beim Deutschen Juristentag 2014
Gestern begann in Hannover der 70. Deutsche Juristentag. An der viertägigen Konferenz nehmen rund 2.500 Juristen teil, die Veranstalter bezeichnen sie als „die größte juristische Fachtagung Europas“. Zu den insgesamt sechs Schwerpunktthemen zählt auch das „Urheberrecht in der digitalen Welt“.
Für die Teilnehmer stelle sich zum Urheberrecht eine grundsätzliche Frage: „Ist der Schutz geistigen Eigentums im Internet faktische Zensur – oder seine Einschränkung nichts anderes als kalte Enteignung im Netz?“ So formuliert es jedenfalls der Präsidenten des Juristentages, Rechtsanwalt Thomas Mayen, in einem Interview auf der Website der Tagung.
Auf diese zugespitzte Gegenüberstellung gehen vier Referenten der Konferenz zum Teil sehr konkret ein – mit insgesamt 53 Thesen zum Urheberrecht, die die Organisatoren des Juristentages vorab in einem umfassenden Thesenband (PDF, Seiten 61-68) veröffentlichten.
Ansgar Ohly: Schaffung einer EU-Urheberrechtsverordnung
Einer der vier, Ansgar Ohly, Rechtsprofessor an der LMU München, hat ein Gutachten zur Anpassung der europäischen Urheberrechtsregelungen erstellt. Darin sieht er „einen angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen der Urheber, der Verwerter und der Nutzer“ als wichtige Maxime, die als Grundlage und Gesetzesformulierung sowohl im deutschen Urheberrechtsgesetz (§11 UrhG) als auch in der Präambel der EU-Richtlinie zur Informationsgesellschaft (InfoSocRL 2001/29/EG vom 22.5.2001 (PDF)) verankert werden sollte.
Zudem sollte seiner Auffassung nach eine neue und spezifische „EU-Urheberrechtsverordnung“ geschaffen werden, „verbunden mit der Einrichtung eines auf das geistige Eigentum spezialisierten Spruchkörpers beim EuGH oder dem Gericht“.
Des weiteren spricht sich Ohly erkennbar für die Einführung eines Rechts auf Remix und Fair-use-Prinzipien aus:
„Während beim Schutz von Werkteilen kein Reformbedarf besteht, sollte der Teileschutz bei Leistungsschutzrechten einer de-minimis-Grenze unterstellt werden. Insbesondere sollten die Rechte der Tonträgerhersteller, Filmproduzenten und Sendeunternehmen nur dann als verletzt gelten, wenn durch die Entnahme ein Produkt entsteht, das zum Original in Wettbewerb steht.“ (These 4 im Abschnitt „Werkbegriff und verwandte Schutzrechte“)
„Die nicht-kommerzielle kreative Umgestaltung von Werken, bei der ein hinreichender innerer Abstand zum Original gewahrt bleibt, sollte zulässig sein. Die Vorschriften über die Bearbeitung und die freie Benutzung (§§ 23, 24 UrhG) sind flexibel genug, um dieses Ergebnis zu ermöglichen. Allerdings sollte der „starre Melodienschutz“ (§ 24 Abs. 2 UrhG) gestrichen werden.“ (These 12 im Abschnitt „Schranken“)
Der Münchener Rechtsprofessor plädiert in seinem Gutachten mehrfach für die Stärkung von Nutzerrechten. Beispielsweise sollte „die Freiheit der Privatkopie auch für den digitalen Bereich beibehalten, aber in einer eigenständigen Bestimmung geregelt werden“. Und die „vorübergehenden Vervielfältigungen“ von urheberrechtlich geschützten Werken, die beispielsweise beim Streaming von Audio- und Video-Dateien notwendigerweise im Zwischenspeicher der Abspielgeräte entstehen, sollten nicht als Urheberrechtsverletzung behandelt werden.
Nicht zuletzt spricht sich Ohly für die Einführung einer allgemeinen Wissenschaftsschranke aus:
„… die sich an Art.5 Abs. 3 lit. a InfosocRL orientiert, eine Vergütungspflicht vorsieht und die durch einen nicht abschließenden Beispielskatalog ergänzt wird, in den die gegenwärtigen §§ 52a, 52b, 53 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 3, 53a Abs. 1 S. 2 UrhG Eingang finden. § 52a UrhG ist bei dieser Gelegenheit zu entfristen. Die Schranke sollte nicht gegenüber Verlagsangeboten subsidiär sein.“ (These 11 im Abschnitt „Schranken“)
Weitere Thesen betreffen die Rechtsdurchsetzung durch sowie die Haftung von Internet Access Providern. Hier ist er für Warnhinweispflichten. Und er schlägt eine Art „Suchmaschinenschranke“ vor, die entsprechende Betreiber von der Haftung für unmittelbare Verletzungen freistellt, „sofern die Anzeige nur dem Auffinden anderer Websites dient und nicht über das zu diesen Zwecken erforderliche Maß hinausgeht“. Für Suchmaschinenbetreiber soll eine Löschpflicht gelten, jedoch auf die jeweils festgestellte Rechtsverletzung beschränkt sein und nicht die Suche nach gleichartigen Verletzungen erfordern.
Arnd Haller: Gesamtgesellschaftliche Kosten-Nutzen-Analyse durchführen
Der Hamburger Rechtsanwalt Arnd Haller, Leiter Recht bei Google Deutschland, schließt sich Ohly insbesondere bei den vorübergehenden Vervielfältigungen und der Haftung von Suchmaschinen-Betreibern an. Seiner Ansicht nach sollte sich das Urheberrecht „stärker als bisher an volkswirtschaftlichen Erwägungen orientieren.“ Bei der Auslegung oder Änderung bestehender Regelungen, wie Nutzungsrechte, Leistungsschutzrechte, Schranken, Schutzfristen etc., sollte – von rein persönlichkeitsrechtlichen Regelungen abgesehen – vorab eine gesamtgesellschaftliche Kosten-Nutzen-Analyse durchgeführt werden.“
Auch für Fair Use- und Remix-Regelungen spricht sich Haller aus:
„Das UrhG erfasst derzeit nicht ausreichend die Interessen der Nutzer, die sich von bloßen Konsumenten zu Prosumenten entwickeln und die urheberrechtlich geschützte Werke nicht nur passiv rezipieren, sondern auf deren Grundlage und unter deren Nutzung selbst kreative Leistungen erbringen wollen. Das UrhG ist daraufhin zu überprüfen und entsprechend zu überarbeiten, das durch die Digitaltechnik eröffnete Kreativitätspotential jedenfalls dann nicht behindert wird, wenn derartige Nutzungen nicht ausschließlich zu kommerziellen Zwecken erfolgen und die Interessen der Urheber hierdurch nicht über Gebühr beeinträchtigt werden.“
Dietmar Harfhoff: Gestaltung des Urheberrechts ist Innovations- und Wirtschaftspolitik
Auch dem Münchener Juristen Dietmar Harfhoff kommt es auf eine gesellschaftspolitische Bewertung des Urheberrechts an, wenn er sagt: „Die Gestaltung des Urheberrechts ist nicht nur Rechtspolitik – sie ist auch Innovations- und Wirtschaftspolitik.“ Seiner Meinung nach bringe die Digitalisierung in vielen Wirtschaftszweigen durchaus „Kontrollverlust“ mit sich, senke aber an vielen Stellen die Kosten für die Weitergabe von Informationen und Werken. Hierauf solle die Urheberrechtsgesetzgebung reagieren:
„Ökonomische Studien des Urheberrechts haben wiederholt darauf aufmerksam gemacht, dass die inzwischen gültigen Fristen des Urheberrechts exzessiv lang sind. Umso wichtiger erscheint eine sinnvolle Diskussion der Schranken des Urheberrechts im deutschen bzw. europäischen Kontext bzw. von „fair use“ im US-amerikanischen Rechtssystem.“
Felix Hey: Abwehrmaßnahmen müssen auch beim Nutzer ansetzen
Der Kölner Jurist Felix Hey hingegen sieht keine Notwendigkeit für eine Wissenschaftsschranke, da sich diese nicht hinreichend präzise vorgeben ließe – und deswegen erst durch Rechtsprechung konkretisierbar wäre. Für ihn gehe es weniger um Reformen des Urheberrechts, sondern primär um die Rechtsdurchsetzung auf europäischer und internationaler Ebene, die die Nutzer eben nicht aussparen dürfe:
„Um einen wirksamen Rechteschutz zu gewährleisten, müssen Abwehrmaßnahmen auch beim Nutzer ansetzen, jedenfalls solange illegalen Angebotsplattformen im Ausland nur unvollkommen und mit unverhältnismäßigem Aufwand begegnet werden kann.“
Debatten kommen zu einem guten Zeitpunkt
Die Schwerpunkte der Thesenpapiere – Nutzerrechte, Fair-Use-Prinzipien und Haftungsfragen für Provider und Suchmaschinen-Betreiber – sollten das Zeug haben, beim Juristentag ebenso heftig wie konstruktiv diskutiert zu werden. Zu einem guten Zeitpunkt kommen die Debatten durchaus: Gehen doch die Beratungen der Europäischen Kommission um anstehende Reformen des Urheberrechts derzeit – mit zahlreichen Anhörungen, Konsultationen und Befragungen – in eine heiße Phase.
Die Aussprachen und Diskussionen des Juristentages sollen übrigens vollständig dokumentiert werden, wozu ein mehrstufiges Verfahren vorgesehen ist. So zeichnen die Veranstalter die Verhandlungen zunächst als vollständiges Wortprotokoll auf, danach stehen die Diskussionsbeiträge den jeweiligen Rednern zum korrigieren und freigeben online zur Verfügung, bevor sie dann veröffentlicht werden.
4 Kommentare
1 Volker Rieck am 25. September, 2014 um 22:40
Der Wissenschaftler Arnd Haller.
Dann ist er also nicht mehr Head of Legal bei Google Germany GmbH?
Interssant, sein Xing Profil sagt aktuell noch etwas anderes. Das sollte er dann vielleicht doch mal ändern.
Oder ist er gar immer noch in der Position?
Dann sollte der Artikel es besser auch erwähnen, dass sich dort der Head of Legal von Google Deutschland äußert.
Es könnte sonst nämlich ein falscher Eindruck einschleichen. Und das in mehrfacher Hinsicht.
2 Henry Steinhau am 26. September, 2014 um 07:38
@Volker Rieck: Vielen Dank für den wichtigen Hinweis. Wir haben die Angabe zu Arnd Haller geändert.
3 Volker Rieck am 26. September, 2014 um 08:24
Trotzdem peinlich. So etwas muss sogar dem blindesten Autoren auffallen. Daher ist das kein Zufall.
Aber passt ja gut zum Agenda Setting.
Zufälligerweise äußert sich das Verbraucherschutz Ministerium fast zur gleichen Zeit sehr ähnlich, allerdings meint man dort etwas zu den Verwertungsgesellschaften sagen zu müssen.
Hatte Irights nicht so gute Beziehungen dahin?
Und auch dort, nicht kommerzielle Nutzung.
Spannendes Thema.
Was ist denn ein Remix, den ich bei Youtube hochlade und den Google mit Werbung bespielt?
Für Youtube natürlich die beste Marge, wenn weder der Uploader an Adsense teilnimmt noch irgendein Urheber Ansprüche anmeldet.
Alles, was man als Unternehmen wie Google braucht sind treue Vasallen, die immer wieder in dieses Horn stoßen. Und genau das passiert hier.
4 Andreas Roedl am 2. Oktober, 2014 um 16:15
Der allgemein verhasste Christoph Keese hat nicht unrecht, wenn er von einer geplanten Aktion ausgeht:
http://www.presseschauder.de/wie-google-versuchte-den-deutschen-juristentag-zu-instrumentalisieren/
Was sagen Sie dazu?