Entweder-oder-Typen, Crowdsourcing und Schatten-Archive: 12 Vorträge und Gespräche von der re:publica
Die re:publica-Konferenz ist vorbei, mittlerweile stehen 185 Mitschnitte von Talks sowie Interviews zum Binge-Watching online. Neben den bereits vielverlinkten Vorträgen und Präsentationen – etwa zur ernsten Lage der Nation oder unterhaltsamen neuen Google-Produkten – hier eine Auswahl von 12 sehenswerten Videos zu den Themenbereichen kreatives Schaffen, Urheberrecht, Datenschutz und Regulierung im Netz.
1. Unsinn stiften als performative Aufklärung
Die Verlegerin und Kulturwissenschaftlerin Christiane Frohmann teilt die Menschheit in ihrem Vortrag in „Entweder-oder-Typen“ auf der einen, „Und-Typen“ auf der anderen Seite. Beide leben den Ausführungen zufolge „auf verschiedenen Identitäts- und Realitätsplaneten“, was sich beispielsweise auch in der Urheberrechtsdiskussion zeigt. Zugleich geht es im Vortrag darum, wie der „schreckliche neue Sinn“ der von Algorithmen gelieferten Werbeanzeigen oder Metadaten-Auswertungen neuen Unsinn produziert. Frohmanns Take-home-Message: „Hermeneutik ist heilbar“.
2. Crowdsourcing Design: The Good, the Bad and the Ugly
Der Designforscher Florian Alexander Schmidt wirft einen kritischen Blick auf Crowdsourcing: Er führt aus, worin sich der in den letzten Jahren vielbeschworene Ansatz von der kollaborativen Zusammenarbeit à la Wikipedia unterscheidet und wie sich bei Crowdsourcing-Plattformen für Design-Aufträge die Schattenseiten eines „verwirklichten neoliberalen Traums“ von kreativer Arbeit zeigen.
3. Freiheit und Vorhersage: Über die ethischen Grenzen von Big Data
Internetforscher Viktor Mayer-Schönberger vom Oxford Internet Institute mit einem sportlichen Vortrag über Big Data und die Folgen, wenn wir die Welt als Ansammlung statistischer Korrelationen sehen. Vor dem Hintergrund, dass Datenauswertungen in immer mehr Bereichen für Vorhersagen über unser Verhalten eingesetzt werden, sieht er nichts weniger als ein „Ende des Vergessens“ am Horizont.
4. Wer archiviert das Internet?
Aus einer anderen Perspektive widmet sich die Gesprächsrunde „Wer archiviert das Internet?“ dem Thema Erinnern und Vergessen, Teilnehmerinnen sind Elisabeth Niggemann, Direktorin der Deutschen Nationalbibliothek, und Alexis Rossi, Archivarin beim Internet Archive. Die von Paul Klimpel – auch Anwalt bei iRights.Law – moderierte Runde macht deutlich, wie unterschiedlich die rechtlichen Rahmenbedingungen, aber auch die Praxis bei der Archivierung von Internet-Inhalten in Deutschland und den USA sind.
5. Geschäftsmodell der Zukunft: Bullshit
Nachrichtensites wie Buzzfeed, Upworthy oder das deutschsprachige „heftig.co“ lassen die dunkle Ahnung aufkommen, dass das vielversprechendste Geschäftsmodell für Journalismus im Netz in der Produktion von Bullshit liegt. Journalist Torsten Kleinz zeigt in seinem Vortrag, wie aus Nicht-News News werden, auf die wir unbedingt klicken sollen.
6. Gate keeping, old and new. How freedom of the press is threatened by the companies that themselves depend on it.
Jillian York von der Electronic Frontier Foundation und die Journalistin Alexa O’Brien sprechen über das komplexe Verhältnis von Internet-Plattformen wie Twitter, Google, Facebook und Apple zur Meinungsfreiheit – eine Freiheit, die sie ebenso für sich in Anspruch nehmen wie ihren Nutzern oft versagen. Die Runde behandelt auch die Frage, ob eine stärkere staatliche Regulierung die Meinungsfreiheit auf den Plattformen stärken kann oder die Lage eher verschlimmert. Moderiert von Matthias Spielkamp (Reporter ohne Grenzen, iRights.info).
7. Wer soll uns regulieren?
Frank Rieger vom Chaos Computer Club macht deutlich, dass Regulierung im Netz nicht nur eine Aufgabe für Monopolkommissionen und andere Einrichtungen ist, sieht eine breite demokratische Auseinandersetzung darüber aber durch eine „kaputte Diskurskultur“ erschwert. Als Alternative zu Monopol- und Oligopol-Strukturen im Netz bringt er unter anderem genossenschaftliche Organisationsformen für Internet-Basisdienste ins Spiel.
8. Burnout & Broken Comment Culture
Den Faden der kaputten Diskussionskultur im Netz nimmt die Autorin und Community-Managerin Teresa Bücker in ihrem Vortrag auf: Sich selbst bestätigende Filterbubbles und rituelle Abgrenzung gegen andere Argumente und Sichtweisen prägen auch den (Online-)Aktivismus, nicht nur in der vielbeschworenen Netzgemeinde. Es geht aber auch anders, wie Bücker zeigt.
9. Playing It Cloud – And Getting Paid?
Über das Einkommen von Musikern im Streaming-Zeitalter spricht Helienne Lindvall mit Crispin Hunt, Komponist und Co-Chef der „Featured Artists Coalition“ sowie mit Johnny Haeusler, der dazu kürzlich einige Zahlen veröffentlicht hat. Eine Diskussion, die nebenbei auch deutlich macht, wie sehr Musikerverträge und die verbreiteten Schweigevereinbarungen eine öffentliche Diskussion erschweren können, wenn die grundlegenden Fakten unbekannt sind.
10. Social Media und Recht: Saisonrückblick 2014
Same procedure as every year: Der juristisch trockene, aber unterhaltsame Saisonrückblick der Rechtsanwälte Thorsten Feldmann und Henning Krieg auf Entwicklungen im Internetrecht hat Republica-Tradition und ist für Überziehungen des Zeitlimits im Wetten-dass-Maßstab bekannt.
11. From ACTA to TTIP – Global trade agreements
Jamie Love, Chef der Nicht-Regierungs-Organisation Knowledge Ecology International, zeigt in seinem Vortrag, wie globale Handelsverträge die Schutzrechte im Urheber-, Patent- und Markenrecht immer stärker ausgeweitet haben und von Drehtür-Effekten zwischen Politik und Wirtschaft geprägt sind. Zumindest in der Tendenz: Stärkere Nutzer- und Zugangsrechte – wie sie zuletzt im WIPO-Blindenvertrag festgeschrieben wurden – bilden eine deutlich schwächere, aber dennoch bemerkenswerte weitere Entwicklungslinie.
12. Shadow libraries – pirate archivists
Der Wirtschaftswissenschaftler Balázs Bodó untersucht in seinem Vortrag Piraterie-Plattformen für wissenschaftliche Veröffentlichungen – wenn man so will: Open Access, nur ohne Genehmigung. Mit diesen Schatten-Archiven ist auch ein globaler Fluss an Wissen und Ideen enstanden, dessen Auswirkungen auf die Wissenschaft noch kaum beachtet werden und der an die Epoche der Aufklärung erinnert, so Bodó. Sehenswert ist auch das DCTP-Interview zum gleichen Thema.
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