Axolotl Roadkill: Plagiat oder nicht – das ist hier die Frage
Die kulturinteressierten unter unseren Lesern haben sicherlich vergangene Woche die „Plagiat oder Remix“-Debatte um Helene Hegemanns Roman „Axolotl Roadkill“ verfolgt. Sie flaut (zum Glück) grade etwas ab – teilweise hatte die ganze Sache etwas hysterische Züge angenommen.
Eine der wichtigen Fragen dabei ist, was ist eigentlich ein Plagiat? iRights.info-Autor Matthias Spielkamp hat sich schon vor einiger Zeit der Sache angekommen. Sein Text beginnt mit der Feststellung: „Die größte Schwierigkeit liegt darin zu bestimmen, was genau ein Plagiat ist.“
Die einen brandmarken die Übernahme von Formulierungen (wörtlich oder in überarbeiteteter, aber durchaus wiedererkennbarer Form) als jedenfalls ethisch verwerfliches Plagiat, vor allem weil der eigentliche Autor – der Blogger Airen – nicht genannt wurde (erst in der zweiten Auflage des Buches taucht er in der Danksagung auf).
Die anderen, die tendenziell literaturwissenschaftlich geschult sind, verteidigten das Hegemannsche Vorgehen als ein völlig legitimes literarisches Verfahren, das schon Goethe, Büchner, Thomas Mann und unzählige andere Schriftsteller angewendet haben. Der Artikel von Hellmuth Karasek ist von 1990. Daran merkt man, dass die Plagiatsdebatte periodisch wieder auftaucht – nicht Neues unter der Sonne also!
Interessanterweise vertritt in diesem Falle das normalerweise so internetkritische deutsche Feuilleton die permissivere Position (jedenfalls mein Eindruck beim Durchgehen der Beiträge – aber ich habe nicht nachgezählt) als die netzaffine Blog-Gemeinde, die sich um einen der Ihren scharrt.
Viele stört auch einfach, dass auf der einen Seite das Feuilleton das Internet (also ob es so etwas wie “das” Internet gäbe) als Hort der Räuber und Piraten darstellt, aber wenn eine, die in den Feuilletons wegen ihrer Papierpublikation (ob zu Recht oder zu Unrecht sei einmal dahin gestellt – ich habe das Buch noch nicht fertig gelesen) gefeiert wird, „Stellen“ aus einem Blog übernimmt, plötzlich von Intertextualität redet.
Das heißt nun nicht, dass das mit der Intertextualität eine Ausrede ist – es ist tatsächlich so, „dass ein Schriftsteller auch Texte fremder Autoren in sein Werk aufnehmen darf, soweit sie ‘Gegenstand und Gestaltungsmittel seiner eigenen künstlerischen Aussage bleiben.“ Das Zitat bezieht sich auf eine Klage der Brecht-Erben, die meinten, dass Heiner Müllers Übernahmen in seinem Stück „Germania 3 Gespenst am toten Mann“ zu weitgehend waren. 2000 urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass unter bestimmten Umständen legitim wäre (Hier die Presseerklärung des Bundesverfassungsgericht mit Link zum Urteilstext). Der Literaturkritiker Uwe Wittstock kommentiert dies in seinem Blog folgendermaßen: „Ein Urteil, das gerade mit Blick auf die ausgeprägten Neigung postmoderner Autoren zum Zitat und ihres deshalb programmatisch laxen Umgangs mit dem geistigen Eigentum anderer, von herausragender Bedeutung ist.“ (Sein Text hat nichts mit Hegemann und dem mexikanischen Lurch zu tun – nur damit keine falschen Erwartungen geweckt werden.)
Dass „Axolotl Roadkill“ ein eigenes Werk ist, stellen auch Airen und sein Verlag Sukultur nicht in Frage. Airen sagt in einem Interview mit der FAZ: „Ich habe ihren Roman gelesen, es ist genau die Art von Buch, die ich gern lese, aber es wäre auch ohne meine Stellen cool gewesen“ und auch dem Verleger gefällt es „schon ganz gut“.
Eines steht jedenfalls fest – das war nicht das letzte Mal, dass uns das Thema Plagiat beschäftigen wird. Und auch das nächste Mal wird es keine einfachen Antworten geben.
Edited to add: Frank Böhmert plaudert aus dem Nähkästchen des Schriftstellers.
2 Kommentare
1 domingos am 18. Februar, 2010 um 09:52
Die Faz hat ja ne ganz neutrale Überschrift gewählt. Ich habe zwar das Buch nicht gelesen, aber einige Zitate, erinnert stark an “Naked lunch” von Williams Burroughs. Meiner Meinung nach ist die Frage entscheidend, wie viel Kreativität sie da rein gesteckt hat. Ich denke, es wäre keine große Geschichte, ein Programm zu schreiben, dass verschiedene Texte zusammenmixt. Dann lässt man noch einen Lektor drüber gucken und veröffentlicht das als ein eigenes Werk. Das ist weder innovativ noch kreativ, das ist reine Geldmache.
2 Valie Djordjevic am 18. Februar, 2010 um 12:15
Naja, sicher ist das möglich. Aber das kann man nur im Einzelfall entscheiden – ob das bei Hegemann der Fall ist, die Entscheidung maße ich mir nicht an. Airen selbst sagte jedenfalls, dass das Buch auch ohne seine Stellen cool wäre.
Ist schon eine Weile her, dass ich Naked Lunch gelesen habe … aber wenn A.R. als eigenes Werk stehen kann, dann sind auch Übernahmen und Zitate aus anderen Werken erlaubt – auch ohne Auszeichnung (siehe das BVerfG-Urteil zum Brecht-Heiner-Müller-Fall, das ich ja doch noch gefunden habe). Es ist halt immer total schwierig bei Plagiatsvorwürfen so aus der Hüfte zu urteilen; man muss sich schon etwas tiefergehender mit den Werken beschäftigen. Ein Eins-zu-Eins-Vergleich, welche Sätze übernommen sind, reicht da nicht.
Das scheint aber gegen die Intuition der meisten Leute zu gehen, die sofort, wenn sich was ähnlich anhört, “Plagiat” schreien. Das hat sicherlich auch etwas damit zu tun, dass in den letzten paar Jahren eine Atmosphäre hergestellt wurde (von den Verlagen, Plattenfirmen, Filmstudios usw.), die “geistiges Eigentum” als heilige Kuh installieren will, anstatt es als pragmatisches Werkzeug zu sehen, das manchmal der Kreativität auch hinderlich sein kann.
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