Ein Gedankenexperiment zur Neuordnung des Urheberrechts
Das Urheberrecht hat in der digitalen Welt einen dramatischen Bedeutungswandel erfahren. Aus einem Recht für einen sehr kleinen, hoch spezialisierten Adressatenkreis ist ein Verhaltensrecht für die ganze Gesellschaft geworden. Der Umstand, dass das Recht bis heute weit davon entfernt ist, an diese neue Situation angepasst zu werden, führt zu massiven Problemen.
Zum einen hat sich das Nutzerverhalten mit Einzug von Digitaltechnologie und des Internets in die Haushalte radikal verändert. Anders als früher ist es heute nahezu jedem Menschen möglich, urheberrechtlich geschütztes Material wie Musik, Filme oder Bilder nicht nur passiv zu konsumieren, sondern auch zu verändern und vor allem auch zu veröffentlichen und zu teilen. Massenhaft verstoßen Privatpersonen gegen das Urheberrecht, werden verklagt und abgemahnt. Ähnlichen Problemen sehen sich auch institutionelle Nutzer wie zum Beispiel Museen, Universitäten oder Bibliotheken ausgesetzt. Auch sie verstoßen ständig – häufig ohne es zu wissen – gegen Urheberrechte und setzen sich damit rechtlicher Verfolgung aus
Ähnlich drastische Veränderungen erfahren Urheber, Verwertungsindustrien und Märkte. Alte Vermarktungs- und Geschäftsmodelle funktionieren nicht mehr, werden durch neue ersetzt oder sterben gänzlich aus. Die Verwertungsrealität bei kreativen Gütern unterliegt dem vermutlich elementarsten Wandel seit Erfindung des Buchdrucks. Auch hierauf hat das Urheberrecht bislang kaum reagiert.
Kurzum: Das geltende Urheberrecht erfüllt seine Funktion nicht mehr, zu Lasten aller beteiligten Akteure. Um dem Abhilfe zu schaffen, reichen – dies scheint mittlerweile offensichtlich – Detailkorrekturen nicht aus. Es gilt vielmehr, Regelungsprinzipien, systematische Ansätze und Grundgedanken auf ihre Tauglichkeit für die digitale Welt zu überprüfen, wenn nötig zu überarbeiten oder durch neue Ansätze zu ersetzen.
Im „Berliner Gedankenexperiment zur Neuordnung des Urheberrechts“ hat sich eine kleine Gruppe von Experten verschiedenster Disziplinen unter meiner Leitung dieser Aufgabe angenommen. Die Grundannahme für das Projekt lautete: Angenommen, wir leben in einer nicht allzu fernen Zukunft, in zirka 25 Jahren. Erstmals macht man sich Gedanken, wie ein Regelungsinstrument für den Schutz und die Verwendung kreativer Güter aussehen müsste. Wie müsste ein Regelwerk aussehen, das den vorhersehbaren Realitäten dieser Zeit gerecht wird und deren Anforderungen entspricht?
Im Ergebnis fordert das Berliner Gedankenexperiment zum Umdenken auf. Es enthält neue und neu gedachte alte Ansätze sowie Lösungsmodelle, mit denen sich die meisten der Probleme mit dem geltenden Urheberrecht vermeiden ließen.
Auf der an diesem Wochenende stattfindenden Telemedicus-Sommerkonferenz 2015 werde ich das Papier vorstellen und mit den Teilnehmern diskutieren.
17 Kommentare
1 Rick HH am 29. August, 2015 um 11:57
Lieber Till,
ich freue mich, dass Dir grundlegende Gedanken um das Urheberrecht machst.
Vielleicht magst Du den https://twitter.com/C3S in Deine Gedanken einbeziehen?
Kein Mensch – auch keiner von uns Piraten – möchte die Künstler ausbeuten. Aber Abmahnanwälte zu mästen nützt niemandem. ;)
Herzliche Piratengrüße
Dein Rick
2 Jens Best am 30. August, 2015 um 05:10
Mir fehlt eine Regelung für die Ausleihe, speziell die Regelungen für Bibliotheken. Wenn es hier nicht eine Einigung gibt, die die Rolle der öffentlich zugänglichen und für jedermann gedachten Bibliotheken besonders schützt, werden diese für die Demokratie wichtigen Orte völlig durch kommerzielle flatrate-Modelle a la Amazon ersetzt.
3 Till Kreutzer am 31. August, 2015 um 11:29
Bislang ist das “nur” ein konzeptioneller Ansatz. Detailfragen, wie die kollektive Rechtewahrnehmung und deren Ausgestaltung oder auch die Rechte von Bibliotheken sind im Modell angelegt. Wie sie dann auszugestalten sind, sagt das Modell (noch) nicht. Diese sollen Gegenstand weiterer Iterationen sein, die wir hoffentlich in weiteren Projekten ausarbeiten können.
4 Andrés Heyn am 31. August, 2015 um 13:28
Anmerkung: Das Beispiel 2 auf S. 6 geht leider fehl. Nicht Kompositionen werden produziert, sondern Tonaufnahmen. Labels verwerten Tonaufnahmen und nicht Kompositionen. Musikverlage verwerten Kompositionen. Der Komponist braucht keine Erlaubnis, um eine “Komposition (oder Tonaufnahme) zu produzieren”.
Die Exkluxivvermartkung der “Komposition” kann auch schon wegen § 42 a UrhG nicht funktionieren.
Allgemein:
Ich habe für die Herbsttagung der DSRI einen Beitrag verfasst, der sich mit dem rückständigen Urheber- und Datenschuzrecht und dabei derzeit bestehenden Störungen in der Wertschöpfungskette behandelt.
http://rechtsanwalt-heyn.de/news/
Die hier vorgestellen Ansätze stärken die ohnehin schon durch das TMG zu Unrecht erheblich bevorteilten Vermittler.
5 Schmunzelkunst am 1. September, 2015 um 18:01
Der Satz auf Seite 4 “Zusätzlich hat der Konzern über sein Leistungsschutzrecht ein Exklusivrecht auf die konkreten Aufnahmen, die er von der Komposition produziert”, der sich ja noch auf geltendes Recht bezieht, kann leicht falsch verstanden werden. Das derzeitige Exklusivrecht auf die konkrete Aufnahme setzt kein urheberrechtlich geschütztes Werk voraus. Dieses Recht hat heute auch ein Tonträgerhersteller, der lediglich CDs mit ungeschütztem Vogelgezwitscher produziert. Man muss sich fragen, ob es ein Leistungsschutzrecht des Tonträgerherstellers überhaupt geben muss. Es gibt ja auch kein Leistungsschutzrecht des Tonträgerverkäufers. Oder soll künftig die Leistung des Tonträgerherstellers nur dann Schutz genießen, wenn sich auf dem Tonträger geschützte Werke oder Darbietungen von ausübenden Künstlers befinden und soll in diesem Fall auch der Tonträgerverkäufer ein Vermittler mit eigenen Leistungsschutzrecht sein?
6 Michael Lehmann am 2. September, 2015 um 11:22
Sehr geehrter Herr Kreutzer,
das Gedankenexperiment berücksichtigt nicht die Auswirkungen auf die (nationalen) Hersteller. Gemäß § 54a UrhG ist die Vergütungspflicht so zu gestalten, dass sie “insgesamt angemessen” ist und “darf … nicht unzumutbar beeinträchtigen”. Das bisherige System hat sich vor dem Hintergrund überhaupt nicht bewährt, sondern greift aufgrund der gängigen Praxis, Pauschalabgaben rückwirkend geltend zu machen, wettbewerbsverzerrend in den Markt ein. Faire Abgaben, die nachvollziehbar sind und von den Herstellern als Kalkulationsbestandteil eingepreist werden können, sind sicher akzeptabel. Das Blu-ray-Debakel mit einer Abgabenforderung in Höhe von 3,473 € pro Rohling verdeutlicht das Dilemma, wenn es zu Übertreibungen kommt. Es wird m.E. zu häufig “vergessen”, dass sich Preise für IT-Produkte unter Wettbewerbsbedingungen bilden.
Mit freundlichen Grüßen
M. Lehmann
7 Till Kreutzer am 2. September, 2015 um 11:31
Sehr geehrter Herr Lehmann,
uns ist völlig klar, dass die konkrete Ausgestaltung und Handhabung der Pauschalabgaben allerhand Defizite aufweist. Daher schreiben wir ja auch nur, dass sich dieses Konzept “im Grundsatz” bewährt hat.
Beste Grüße
Till Kreutzer
8 Till Kreutzer am 2. September, 2015 um 11:35
Hallo Herr Heyn,
danke für den Hinweis. Das wording ist etwas missverständlich, aber gemeint ist, was Sie sagen: ein Dritter produziert eine Tonaufnahme, in diesem Zuge nutzt (“produziert”) er die Komposition des Urhebers.
Mit besten Grüßen
Till Kreutzer
9 Till Kreutzer am 2. September, 2015 um 11:44
@Schmunzelkunst
Welche Leistungen einem solchen Verwerterrecht zugänglich sind, bedarf weiterer Erörterungen. In dem Gedankenexperiment geht es erstmal nur darum, das Prinzip, das Konzept zu erklären. Wie man es dann umsetzt, ist eine sich anschließende Frage. M.E. sollten für die Gewähr der Verwerterrechte gewisse Mindestanforderungen an die Relevanz der Leistung, ggf. auch die Investitionskosten etc. gestellt werden. Der Tonträgerverkäufer wäre sicherlich kein Berechtigter in diesem Sinne, weil er ja keine Werke “produziert”, sondern nur Produktionen anderer verkauft.
Beste Grüße
Till Kreutzer
10 Stefan Herwig am 2. September, 2015 um 11:47
Lieber Till Kreutzer,
dein Gedankenexperiment ist leider erneut eher fehlgeschlagen. Zuerst einmal kann man ja behaupten, dass man einen Ausgleich wagen will zwischen Nutzern, Verwertern, Urhebern und jetzt auch noch den vermittlern.
Abeer wenn man dann kreative Urheber und Vermittler kategorisch aus der Arbeitsgruppe ausklammert, kommt dann so ein unausgegorener Ansatz heraus, wie du ihn hier erneut vorstelltest. Das hat schon beim Google Collaboratory nicht funktioniert, und funktioniert jetzt ebensowenig.
Es ist wirklich schade, dass ihr meint ein hochkomplexes Probllem wie das mit dem Urheberrecht lösen zu wollen, indem ihr zwei zentrale Interessengruppen aus euren Diskussionskreisen einfach ausklammert. Und zufälligerweise werden dann genau diese Interessengruppen im Papier auch strukturell benachteiligt.
Bevorteilt werden dann aber strukturell nun plötzlich die “Vermittler”, also die digitalen Infrastrukturunternehmen. Sie erhalten zusätzlich eigene Rechtpositionen, was deren ohnehin bereits privilegierte Martkstellung nochmal stärkt.
Wo liegt da der “Ausgleich”? Das wird wohl Dein Geheimnis bleiben. Im Fegenteil: Dein Ansatz verstärkt erneut die Marktstellung bereits priviliegierter Monopolisten.
Das Urheberrecht ist in erster Linie auch kein “Gerechtigkeitswerkzeug”, wie du es scheinbar verstehst. Es macht Inhalte schutz- und handelsfähig, und hier liegen die Ansatzpunkte für eine *wirkliche* Modernisierung.
Man muss schauen, wo die Schutzfähigkeit des Rechts eingeschränkt ist, und diese wieder herstellen. Ein nicht durchsetzungsfähiges Recht ist ausgehölt. Den Punkt, der für Kreative und vermittler zuentrale Bedeutung hat, den ignoriert euer Gedankenexperiment komplett.
Und dann kann man sich in Folge einer gelungenen Durchsetzbarkeit fragen, wie man Transaktionen simplifizieren kann, und das Recht insofern vereinfacht, so dass ALLE Beteiligten damit sinnvoll umgehen können. DAS wäre richtiger Fortschritt, und der wird auch zu funktionierenden Märkten und Wertschöpfungsketten führen, und damit auch zu einer guten Grundlage für die Verwertung kreativer Werke.
Was Du hier machst, ist aber (mal wieder) das Gegenteil einer Simplifizierung. Insofern ist dieses Gedankenmodell – leider erneut – das Produkt einer wissenschaftlichen Filterbubble, die versucht, das Urheberrecht zum Werkzeug einer ohnehin fragwürdigen Netzideologie umzuformen.
Gruß,
SH
11 Volker Rieck am 2. September, 2015 um 20:49
Herr Kreutzer,
Bitte erklären Sie mir das hier mal:
“Verwerter haben andere Interessen an der Werkverwertung, sie üben die Rechte häufig anders aus, als es der Urheber vermutlich getan hätte”
Auch wenn das nur ein Gedankenspiel ist, von irgendwo her muss die Vermutung ja kommen. Mir fällt kein Beispiel dafür ein, dass ein Verwerter (ist ja streng genommen leider ein falsch gewähltes Wort, Vermarkter trifft es besser, Verwertung meint eigentlich etwas anderes) gegenläufige Interesse hat.
Welche könnten das sein?
Was mich aber absolut wundert: Statt an der Länge der Schutzfristen zu schrauben, vermisse ich ein Wort zur Rechtsdurchsetzung.
Es ist nämlich egal, wie lang eine Schutzfrist ist, wenn die Rechte innerhalb der Frist nicht durchgesetzt werden können.
Urheber oder Vermarkter haben mit Scherheit mehr Probleme mit der unregulierten Distribution als mit der regulierten.
12 Volker Rieck am 9. September, 2015 um 08:15
Lieber Herr Kreutzer,
Bin ich zu ungeduldig?
Eine Woche alt ist meine Anfrage nach der Vermutung, die ein Kernfundament des Gedankenexperiments darstellt und ich lese hier so gar nichts…
Darf ich das als stille Zustimmung werten, dass bereits an ersten Kreuzung falsch abgebogen wurde?
“Verwerter haben andere Interessen an der Werkverwertung, sie üben die Rechte häufig anders aus, als es der Urheber vermutlich getan hätte.”
Bitte erläutern Sie mir das einmal.
Danke schon mal für die Mühen.
13 Till Kreutzer am 9. September, 2015 um 15:56
Lieber Stefan Herwig,
danke für Deine hilfreichen Anmerkungen. Wir werden versuchen, die Durchsetzungsfrage in einer hoffentlich realisierbaren weiteren Stufe der Arbeit an dem Gedankenexperiment zu behandeln. Was ich nicht ganz verstehe ist der Hinweis auf die “zusätzliche eigene Rechtsposition der Vermittler”. Das Modell schafft keine Rechtspositionen für Vermittler oder stärkt sie, sondern es macht Vorschläge für eine Weiterentwicklung der geltenden Verantwortungsregeln. Wärest Du denn gegen den Vorschlag, eine Zahlungspflicht für Plattformen einzuführen?
Beste Grüße
Till
14 Till Kreutzer am 9. September, 2015 um 16:03
Lieber Herr Rieck,
es fällt mir schwer, diese Frage im Einzelnen hier zu diskutieren, sie hat viele Facetten. Also nur kurz: Es geht einerseits um Interessenwidersprüche zwischen Urhebern und Verwertern. Fragen Sie doch mal die Abermillionen freien Grafiker, Journalisten, Studiomusiker, Softwareprogrammierer u.V.m., ob sie mit dem Verhältnis zu ihren Verwertern einverstanden sind und ob es da nicht viele Meinungsverschiedenheiten gibt.
Andererseits, und das ist eigentlich der entscheidende Punkt, geht es um das Verhältnis zu den Nutzern. Urheber üben ihre Rechte (wenn sie denn darüber verfügen können) in Millionen von Fällen anders aus als es Verwerter getan hätten der würden es tun. Das gilt nicht nur für die open culture, sondern auch für “Berufsurheber”. Fragen Sie doch mal einen Filmschaffenden und einen Filmverleih, ob sie die gleichen Vorstellungen zu bzw. Bedenken gegenüber z.B. Schrankenbestimmungen oder anderen Regelungen haben. Nur in aller Kürze, ich denke, Sie wissen, wovon ich spreche.
Zu der Rechtsdurchsetzung, siehe mein Kommentar an S. Herwig.
Beste Grüße
Till Kreutzer
15 Volker Rieck am 10. September, 2015 um 18:26
Hallo Herr Kreutzer,
Irgendwie hinterlässt die Antwort bei mir mehr Fragen als sie beantwortet.
Es wird weiter gemutmaßt und Urhebern gern mal eine Art Stockholm Syndrom bescheinigt.
Grundsätzlich versuchen beide, der Urheber und sein Vermarkter (sagen Sie bitte nicht Verwerter, denn das meint etwas anderes)die bestmögliche Vermarktung eines Werks am Markt. Über die Wege dahin kann man unterscheidlicher Ansicht sein.
Aber ist das ein Problem des Urheberrechts? Wohl kaum.
Wenn ich als Urheber die komplette Vermarktung bestimmen will, dann suche ich mir einen Vermarkter der das akzeptiert.
Wenn ich den nicht finde, habe ich Pech gehabt.
Ich kenne allerdings Fälle, da muss ein Urheber alles freigeben, was sein Werk betrifft.
Das nennt sich Vertragsfreiheit.
Es mag sogar Urheber geben, die keinerlei Gewinnerzielungsabsichten hegen: Be my guest, ist aber auch kein Problem des Urheberrechts.
Ich nehme an, ein Mitwirken von Urhebern und Vermarktern, also Praktikern! hätte dem theoretischen Gedankenexperiment schon früh helfen können, nicht schon ganz oben falsch abgebogen zu sein.
Gruß
Volker Rieck
Was sagen Sie dazu?