Spindler-Gutachten zur Kulturflatrate: (rechtlich) möglich, aber unklar, wie teuer sie wäre
Der Göttinger Jurist und Ökonom Gerald Spindler hat im Auftrag der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen ein 220-seitiges Gutachten zur Machbarkeit der Kulturflatrate (PDF, 2,2 MB) erstellt. Es ist heute (unter der Creative-Commons-Lizenz BY-NC-ND) veröffentlicht worden.
Spindler beschreibt das zu lösende Problem in der Zusammenfassung seiner Untersuchung:
Seit mehr als zehn Jahren ist ein weiterhin steigender Austausch von auch urheberrechtlich geschützten Inhalten über das Netz ebenso zu verzeichnen wie erhebliche Schwierigkeiten, die jeweiligen Rechte effektiv durchzusetzen. Zahlreiche Anstrengungen zur Rechtsverfolgung haben sich in der Vergangenheit zwar als kurzfristig erfolgreich erwiesen, mittelfristig aber auch zu „Abmahnwellen“ sowie entsprechenden Reaktionen im Netz durch neue technische Verfahren geführt. Gleichzeitig verstärkt sich die Unsicherheit über die Verantwortlichkeit Dritter, insbesondere von Anschlussinhabern, Eltern, Arbeitgebern oder Universitäten, für Rechtsverletzungen, die über ihre Anschlüsse oder unter ihrer Aufsicht begangen werden. Technische Kopierschutzsysteme haben aufgrund fehlender Akzeptanz der Nutzer nur in einigen Teilbereichen Abhilfe schaffen können, zumal sie auch schnell wieder umgegangen werden konnten. Andererseits haben sich in jüngster Zeit Musikabo- bzw. Streamingdienste mit Flatrates entwickelt, wie Spotify oder Simfy, die offenbar zu einer Abnahme der Filesharingaktivitäten geführt haben. Ferner ist eine erhebliche Zunahme nutzergenerierter Inhalte etwa auf YouTube zu beobachten, die ihrerseits die Frage der Verwertung von Urheberrechten (Bearbeitungsrecht) aufwerfen.
Als Lösung wird daher schon seit Jahren eine Kulturflatrate erwogen. Spindler hatte nun zum einen den Auftrag, zu untersuchen, ob eine solche Kulturflatrate unter der geltenden Rechtlage umgesetzt werden könnte. Zum anderen sollte er die ökonomischen Voraussetzungen analysieren und die mögliche Höhe der Abgabe bestimmen.
Spindler ist der Ansicht, dass deutsches Recht der Kulturflatrate – unter bestimmten Voraussetzungen – nicht im Wege stehen würde:
Aus rechtlicher Sicht ist eine Kulturflatrate kein unverhältnismäßiger Eingriff in die Eigentumsrechte der Urheber, da sie für eine angemessene Kompensation der Urheber anstelle einer nicht immer effektiven Rechtsdurchsetzung sorgt. Maßgeblich ist in diesem Rahmen der Prognose- und Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers hinsichtlich der Auswirkungen auf die Urheber und Verwerter, der die oben genannten gegenläufigen Effekte berücksichtigen kann. Hinzu kommt, dass mit einer Abgaben- sowie Schrankenlösung auch datenschutzrechtliche Probleme vermieden werden können. Das (Urheber-) Persönlichkeitsrecht steht einer Kulturflatrate ebenfalls nicht entgegen, da die Schranken gerade nicht die dem Persönlichkeitsrecht entstammenden Ansprüche berühren, sondern vielmehr entsprechende Ansprüche weiterhin bestehen bleiben. Allerdings muss es auch bei den Möglichkeiten einer entsprechenden Rechtsverfolgung bleiben, insbesondere bei Auskunftsansprüchen und der Möglichkeit der Identifizierung von Rechtsverletzern, da sonst die Persönlichkeitsrechte schutzlos blieben.
Allerdings wäre eine Änderung der europarechtlichen Bedingungen notwendig, was eine hohe Hürde darstellt:
Eine Änderung der InfoSoc-RL wäre daher im Sinne einer Erweiterung der Schranken für das Recht auf öffentliche Zugänglichmachung erforderlich (Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie).
Und auch international müssten zahlreiche Vorkehrungen getroffen werden, um nicht in Konflikt mit den gesetzlichen Regelungen zu geraten:
Schließlich resultiert aus den kollisionsrechtlichen Vorgaben des Urheberrechts ein praktisches Anwendungsproblem für eine Kulturflatrate: Während für die Schranke der Privatkopie bzw. des Downloads diejenige Rechtsordnung Anwendung findet, in deren Land die Kopie erstellt wird, wird weithin für den Upload, also das Recht auf öffentliches Zugänglichmachen jeder mögliche Abrufort des Inhalts als Anknüpfungspunkt gewählt. Dies bedeutet, dass auch bei einer Schranke in Deutschland bzw. der EU zugunsten des Uploads ein anderes Land diesen Vorgang anders behandeln könnte – so dass hieraus de facto ein Zwang zum territorial beschränkten Zugriff auf die Inhalte resultiert, der in praxi aber mittels Geolocation-Tools erreicht werden könnte, auch ohne dass ein konkreter Anschlussinhaber identifiziert werden müsste.
Was die ökonomische Machbarkeit angeht, macht Spindler, basierend auf einer ausführlichen ökonomischen Analyse der vorliegenden Daten zu Konsumverhalten und illegaler Nutzung, folgende Vorschläge:
Eine Abgabe sollte an einen Breitbandanschluss anknüpfen, möglichst gestaffelt nach Volumen und/oder Geschwindigkeit, um unterschiedliches Nutzungsverhalten zu erfassen.
Vergütungsschuldner sind die Internet-Access-Provider, die diese Abgabe an ihre Kunden weiterbelasten – vergleichbar der Geräteabgabe.
Die Geräteabgaben wären bei Einführung einer solchen Abgabe entsprechend zu kürzen, um urheberrechtlich relevante Vorgänge, etwa die Vervielfältigung im Rahmen eines Downloadvorgangs, nicht doppelt zu erfassen.
Auch bei der Frage, wie denn das eingenomme Geld verteilt werden soll, sieht Spindler konkrete Lösungsmöglichkeiten, mit denen er sowohl Fragen der Gerechtigkeit als auch des Datenschutzes glaubt beantworten zu können:
Die Verteilung der Abgabe sollte entsprechend den Vorbildern der derzeitigen Verwertungsgesellschaften, ggf. mit Modifikationen, anhand der Nutzungshäufigkeit der jeweiligen Werke vorgenommen werden. Dabei können in einem gewissen Maße auch soziale oder kulturpolitische Erwägungen berücksichtigt werden, z.B. durch Progressionsvorbehalte, solange der eigentliche Anknüpfungspunkt die Nutzungsintensität des jeweiligen Werkes bleibt.
[…]
Die Nutzungshäufigkeit kann datenschutzrechtlich neutral auf mehrfache Weise erfolgen, etwa durch:
- Plug-ins in Browsern (auf freiwilliger und anonymisierter Basis) bei den Nutzern
- Durch Monitoring von Filesharingnetzwerken oder Sharehostern und Audiofingerprinting
- Durch Umfragen bzw. Erhebungen
Die Abgabe läge – je nach Modellierung, in denen Spindler unterschiedliche Prämissen zugrunde legt – zwischen 6,74 € und 89,89 € pro Monat.
Er selbst schreibt zur Höhe:
Realistisch erscheint hier ein Preis von 6,74 Euro, möglicherweise auch von 22,47 Euro, wobei aber beachtet werden muss, dass der in diese Rechnung eingezogene Zweitverwertungsabschlag bei einer Kulturflatrate kritisch zu sehen ist.
Es ist davon auszugehen, dass diese bisher ausführlichste Studie zur Kulturflatrate die Debatte neu befeuern wird.
5 Kommentare
1 Chris am 8. März, 2013 um 12:30
Ist das ein Witz? Die Debatte ist damit beendet, will man hier Tode am Schlauch halten? Absurd wie die klare Aussage des Gutachtens: zu teuer, Datenrechtlich bedenklich, hier ins Gegenteil verkehrt werden soll.
[Kommentar gekürzt. Sachliche Kommentare sind jederzeit erwünscht. Bitte halten Sie sich an unsere Richtlinien: https://irights.info/was-ist-irights-info-redaktionsstatut – Punkt 11. Die Redaktion]
Aberwitz wäre es, wenn die Diskussion zu den toten Pferd tatsächlich weitergeritten wird.
2 Frank Rieger am 8. März, 2013 um 18:02
Bedauerlich an dem Papier ist die unkritische Zementierung und Nichtinfragestellung des Dogmas, daß die Nutzungsintensität zwingend und alleinig den Vergütungsanspruch bestimmen soll. Wenn man mit so einer Brille an die Problematik geht kann man natürlich weitergehende Ansätze wie die Kulturwertmark nur schlecht finden. Diese Pauschalisierung und die daraus folgende viel zu blauäugige Betrachtung der Komplikationen einer Kulturflatrate (Verteilungsgerechtigkeit, Datenschutzprobleme etc.) machen das ganze zu einer verpassten Chance etwas unideologischer an die Sache heranzugehen.
3 Wolfgang Ksoll am 10. März, 2013 um 14:53
Bei der Bemessung der Höhe einer Kulturflatrate sollte man noch einige Kriterien hinzudenken. Nach meiner Erfahrung sind Marktelastizitäten jenseits von 25 €/Monat nicht realistisch erwartbar. Das hat sich zum Beispiel auch in der Telemedizin gezeigt oder auch in Hauselektronik. Oberhalb haben Kim Dotcom und seine Mitbewerber die besseren Argumente.
Eine Flatrate ist flat. Das sollte man nicht aushöhlen schon in der Diskussion in dem man das Flache volumenspezifisch macht, wie hier vorgeschlagen. Seit Jahrzehnten haben wir bei den öffentlich rechtlichen echte Flatrates und nicht volumenspezifische, wo Familien besonders stark ausgenommen werden. Das allozieren am Provider ist auch ein unsinniger Vorschlag. Schon heute sind in vielen Haushalten mehrere Provider (DSL, Mobilfunk). Auch hier würden Familien wieder überproportional abgezockt, was wir gerade bei der GEZ udn der Haushaltsabgabe vermieden haben. Und warum soll Starbucks dafür zahlen, wenn ich unterwegs bei denen Filme downloade? Der Bottleneck ist nicht die Tischanzahl bei Starbucks, sondern ich, mit einer 24*7 Woche. Wenn ich bei Starbucks surfe, kann ich es nicht gleichzeitig zu Hause auf meinem Festnetzanschluss.
Wünschenswert wäre nun gewesen, wenn man sich die aktuellen GEZ Umsätze an sähe und dazu dann die bei der Künstlersozialkasse gemeldeten Umsätze der Künstler. Die gilt es primär zu bezahlen und zu erhöhen, weil die im Schnitt unter Hartz4 liegen.
Das Einzugsverfahren über die GEZ ff. hat viel Unruhe gebracht. Daher sollte man sich auch ansehen, ob nicht die Mehrwertsteuer ein geeigneteres Instrument wäre. Zumal es nur inländische Verbraucher belastet, datenschutzrechtlich völlig unproblematisch ist, da anonym, udn wir bei Merkel gesehen haben, dass die Erhöhung von 16 auf 19% zur Finanzierung des sieglosen Afghanistankrieges und anderer militärischer Abenteuer wie Türkei oder Mali problemlos von der Bevölkerung durchgewunken wurde.
Sollte die Grünen nun aufgrund des Gutachtens zu dem Schluss kommen, dass aufgrund der notwendigen Höhe eine Kulturflatrate nicht durchsetzbar wäre, wären sie urheberrechtlich unglaubwürdig und es wäre zu befürchten, dass sie wieder den Steigbügelhalter machen würde für so schlimme Sachen wie die aus dem Ruder gelaufenen Schilypakete für die Geheimdienste. Da sollte also vor der Wahl klare Stellung bezogen werden und nicht nur Häme über die Wettbewerber geworfen werden wie von Trittin heute über die FDP. Und vielleicht erwartet der Bürger auch etwas mehr Diskussionszeit dazu als die 24 Sekunden der ersten Lesung des E-Governementgesetzes im Deutschen Bundestag.
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