Fanfiction: 50 Shades of Copyright
Vor etwa zwei Wochen berichtete der Guardian, dass Bluemoose Books – ein kleiner Verlag aus Yorkshire – versucht hatte, auf dem Trittbrett des BDSM-Bestsellers „50 Shades of Grey“ ein paar Pfund zu verdienen. Der Plan war, eine unautorisierte Biographie des fiktionalen Millionärs Christian Grey – Frauenschwarm und Held des Romans – zu veröffentlichen und damit den Verlag zu sanieren. Als Bluemoose Books diese Neuigkeit ankündigte, wurde der Verlag mit Anfragen von weiteren Verlagen aus dem In- und Ausland überschüttet – ja sogar Hollywood soll angerufen haben, um die Rechte zu kaufen.
Nur hatte Bluemoose Books vergessen, die Rechteinhaber von „50 shades“ – die Autorin E.L. James und ihren Verlag – zu fragen, ob das okay wäre. Und als dann einige Tage später ein strenger Anruf von Random House kam, in dem von Urheberrechtsverletzung die Rede war, musste der Verleger seine Pläne aufgeben. „Eine Woche lang war ich fast Millionär“, sagte er dem Guardian.
Was ist nun daran so spannend? Nun, die Tatsache, dass die „Shades of Grey“-Trilogie selbst auf einer solchen Appropriation beruht. Und das ist nicht einmal ein Geheimnis: „50 Shades of Grey“ war ursprünglich ein sogenanntes Fanfiction und trug den Titel „Masters of the Universe“. Snowqueen Icedragon – so nannte sich die „50 Shades“-Autorin E.L. James, als sie im Twilight-Fandom aktiv war – hatte sich die Charaktere aus der Vampir-Romanze „Twilight” (deutsch „Biss zum Morgengrauen“ usw.) genommen und ihnen ein etwas aktiveres Sexualleben verpasst.
Fanfiction-Autoren übernehmen bekannte Figuren aus Filmen, Fernsehserien oder Büchern und schreiben mit ihnen eigene Geschichten. Das kann unterschiedliche Formen haben: Die Original-Geschichte kann etwa aus der Perspektive einer anderen Figur erzählt werden oder die Fan-Autorin denkt sich einen eigenen Plot aus und behält nur Charaktere und Setting. Weiter vom Original entfernen sich sogenannte Alternative-Universe-Geschichten. Hier übernimmt die Autorin nur die Figuren mit ihren Eigenschaften und Eigenheiten und versetzt sie in ein Setting ihrer Wahl.
„Master of the Universe“ gehört zu diesem Subgenre. Der Vampir Edward wurde zu Edward, dem Millionär mit gewissen Neigungen, und Bella – blieb Bella. Zunächst jedenfalls. Fanfiction lebt davon, dass die Figuren wiedererkennbar sind und MotU – wie „Master of the Universe“ von den Fans genannt wurde – bildete keine Ausnahme.
MotU war lange im Netz kostenlos zugänglich und hatte sehr viele Anhänger, die Woche für Woche auf die Fortsetzung warteten und tausende von Kommentaren schrieben. Nach einer Weile im Netz zog E.L. James die Geschichte aus den Fan-Archiven zurück, so die Aussage ihrer Agentin, weil es Beschwerden wegen der Sex-Szenen gab. Sie änderte die Namen der Figuren (so wurde aus Bella Anastasia und aus Edward Christian) und veröffentlichte sie zuerst bei einem australischen E-Book-Verlag als eigenes Werk, bevor dann Random House darauf aufmerksam wurde. Der Rest ist, wie man so sagt, Geschichte. Die Trilogie hält sich seit Monaten an der Spitze der Bestseller-Listen auf der ganzen Welt.
Wie Fanfiction urheberrechtlich zu beurteilen ist, ist eine Frage, über die sich die Juristen die Köpfe zerbrechen. In den angelsächsischen Ländern fällt Fanfiction zumeist unter die Fair-use-Klausel. Sie erlaubt unter gewissen Bedingungen, fremde Werke zu benutzen. Eine dieser Bedingungen ist, dass man mit dem bearbeiteten Werk keinen finanziellen Gewinn macht (genauer gesagt, darf die Nutzung die kommerzielle Verwertung durch den Rechteinhaber nicht einschränken).
Nun hat in der iRights.info-Redaktion noch niemand das Werk gelesen (jedenfalls gibt es keiner zu), aber Leser, die beide Versionen gelesen haben, sehen Gemeinsamkeiten, so etwa das Blog „Dear Author“. Auch bei Galleycat kann man einen Blick in die ursprüngliche Version von „50 Shades of Grey“ werfen.
Inzwischen gibt es natürlich auch Shades-of-Grey-Fanfiction. Und wer weiß, ergibt sich daraus der nächste Besteller. Die Verlage suchen inzwischen im Netz aktiv nach neuen Büchern, vor allem in den USA. Viele Neuerscheinungen in diesem Jahr waren ursprünglich Geschichten, die zuvor im Netz veröffentlicht worden sind. So hat die 16-jährige Emily Baker ursprünglich „One Direction“-Fanfiction geschrieben (für die älteren Leser: One Direction ist eine britische Boyband, die gerade von überwiegend weiblichen Teenagern weltweit angehimmelt wird). Im Oktober wurde bekannt, dass sie vom Penguin-Verlag das Angebot bekommen hat, ihre Geschichte „Me, Myself, and One Direction“ als Buch zu veröffentlichen. *
Letztendlich ist das eine interessante Aussage über die Produktion von Texten und Geschichten. Der Schriftsteller Jonathan Lethem schreibt in seinem Essay „The extasy of influence“ (auf Deutsch gekürzt: „Autoren aller Länder, plagiiert Euch“): „Jeder Text ist vollkommen eingesponnen in Zitate, Bezüge, Echos und kulturelle Sprachen, die ihn in ein riesiges stereophones Gewebe einarbeiten. […] Der Kern, die Seele – sagen wir ruhig: die Substanz, der tatsächliche werthaltige Stoff – allen menschlichen Ausdrucks ist das Plagiat.“ Fanfiction-Autoren nehmen die uns umgebende Medienwirklichkeit und machen sie zu ihrer eigenen – eine Art moderner Folk-Tradition. Der Erfolg von Fanfiction ruft nun wieder die traditionellen Verlage auf den Plan, diejenigen, die eigentlich immer die Originalität und Authentizität von Literatur verteidigen.
Die geplante Biografie von Christian Grey von Bluemoose Books ist eigentlich auch nur Fanfiction. Der Unterschied war wohl, dass der Verleger sie nicht anonym im Netz veröffentlicht hat, sondern damit Geld verdienen wollte. Er überlegt nun, ob er nicht ein Buch über den Fall schreiben soll. Ein Buch über das Buch über das Buch. Dafür dürfte er eigentlich nicht verklagt werden können, glaubt er. Sicher ist er sich aber nicht.
* Zusatz am 1.2.2013: Leander Wattig schreibt in seinem Blog, dass Tumblr Mitarbeiter speziell dafür beschäftigt, um die Entstehung von Buchprojekten zu fördern.
8 Kommentare
1 Thomas Elbel am 30. Januar, 2013 um 09:11
Oh nein. Bitte nicht die xte Version von Standing on the Shoulders of Giants. Es ist eine platte Binsenweisheit. Alle Werke sind derivativ und alle Werke sind neu, auch 50SoG. Jonathan Lethem liegt also gleichzeitig richtig und total falsch. In dem Moment in dem es in Papier erschien, war die Entlehnung fast komplett unkenntlich geworden und die Geschichte erkennbar eine ganz andere. Hieraus irgendetwas für das Urheberrecht oder dessen Reform ableiten zu wollen, ist höherer Schwachsinn. Sorry, aber so einen Text kann wieder mal nur jemand geschrieben haben, der selber noch nicht für Geld künstlerisch tätig war.
2 Valie Djordjevic am 30. Januar, 2013 um 11:17
Ich glaube, Sie haben einen anderen Text gelesen, als ich geschrieben habe. Von einer Forderung nach einer Urheberrechtsreform kann ich in diesem Text nichts finden.
Ich fand es nur interessant, dass in diesem Fall die Originalität eigentlich nur daran hängt, welche Namen verwendet werden. Der Punkt ist ja grade, dass “50 Shades” und “Masters of the Universe” sich hauptsächlich darin unterscheiden, dass die Figuren anders heißen (siehe etwa “Dear Author” – aber auch andere Leute in den Foren und Blogs schreiben, dass die Unterschiede zwischen der Fanfic-Version und dem Buch marginal sind). Und der Bluemoose-Mensch hätte ohne Probleme die Biografie veröffentlichen können, wenn er Christian Grey Daniel Green genannt hätte. Allerdings wäre dann niemand daran interessiert gewesen.
Es gab unter den Fanfic-Autoren viele Diskussionen, ob Fanfic unter Fair Use fällt, also wie der urheberrechtliche Status (wobei es eigentlich immer um das Copyright ging – in D. sieht es eventuell ganz anders aus) von Fan-Geschichten ist. Dass die Verlage jetzt auf den Fanfiction-Seiten nach Bestsellern suchen, bedeutet ja, dass eine Schmuddelecke des Internet plötzlich finanziell interessant geworden ist.
Dass 50 Shades als Originalfiction funktioniert hat, liegt natürlich daran, dass es von vornherein als Alternative-Universe-Fanfic angelegt war, bei einer “normalen” Fanfic-Geschichte wäre sicher mehr Umarbeit nötig gewesen.
Und zum letzten: Das mit dem “für Geld künstlerisch tätig”, ist in diesem Falle ja etwas unpassend: E.L. James hat ja die erste Version “MotU” ohne Geld geschrieben und kostenlos ins Netz gestellt. Das mit dem Geld kam erst eine ganze Weile später. Und da sag ich nur: Good for her!
3 Daniel Lenz am 30. Januar, 2013 um 12:32
Hier eine Einschätzung des Random-House-Justiziars: http://www.buchreport.de/nachrichten/verlage/verlage_nachricht/datum/2013/01/30/fanfiction-in-der-grauzone.htm
4 Valie Djordjevic am 30. Januar, 2013 um 12:52
Das ist auf jeden Fall sehr interessant. Man sieht in der Begründung ganz gut den Unterschied zwischen dem deutschen Urheberrecht mit der Schranke der freien Bearbeitung und dem anglo-amerikanischen Fair Use. Zum Fair Use gehört ja schon dazu, dass man keine finanziellen Absichten hat bzw. dem Original-Autor keine Konkurrenz macht; in D. spielt das aber keine Rolle. D.h. meiner Einschätzung nach, dass hier Fanfiction auf rechtlich sehr viel wackligeren Beinen steht als in den USA/England.
5 Thomas Elbel am 30. Januar, 2013 um 14:14
Gut. Dann habe ich das in den falschen Hals bekommen.
Aber war es hier nicht ohnehin so, dass die ursprüngliche FanFic Version sich inhaltlich bereits so weit von dem Twilight Original entfernt hatte, dass die Umbenennung schon nur noch das Tüpfelchen auf dem I war?
6 Valie Djordjevic am 30. Januar, 2013 um 16:42
Das meinte ich ja mit Alternative-Universe-Fanfic. Da übernimmt man nur die Figuren mit ihren Eigenschaften und denkt sich eine komplett andere Umgebung aus. Und da scheinen die Twilight-Gestalten generisch genug zu sein, dass es da keine ausreichende Überschneidung gibt, wenn man die Namen geändert hat.
Was das Urheberrecht angeht, muss ich mich aber korrigieren. Ich würde es schon begrüßen, wenn in Deutschland eine ähnliche Ausnahmeregel für nicht-kommerzielle Remixe/Bearbeitungen usw. gäbe, wie es Fair Use in den USA ist. Dann würden deutsche Fanfic-Autoren nämlich ihrem Hobby mit weniger Sorgen nachgehen können. Das bezieht sich allerdings nicht auf den hier geschilderten Fall der unautorisierten Biografie, da so was ja auch unter Fair-Use-Gesichtspunkten wahrscheinlich nicht gestattet wäre. Aber das ist noch mal ein Thema für einen eigenen Artikel.
7 marco tullney am 29. Juli, 2014 um 12:43
Kommerziell finde ich immer schwierig. Es ist zwar unwahrscheinlich, aber möglich, dass FF die Leser davon abhält, weitere Bücher zu kaufen. Schlechte FF kann dazu beitragen, dass die Story vom Original Autor Schaden nimmt, weil einige Leute nicht in der Lage sind, zwischen Original-Werken und Bearbeitungen zu unterscheiden. Dennoch bin ich der Ansicht, dass FF einen besseren Staus in D-Land bekommen sollte. Die Popularität von Sherlock Holmes z.B. basiert sicher auf den tausend Geschichten, die posthum entstanden und die Nachkommen Doyles müssen sich gut verdient haben.
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