Warum Kreativität kein Maßstab für Urheberrechte ist
Kreativität ist nicht einer bestimmten Branche vorbehalten, die diesen Begriff für sich in Beschlag genommen hat, kommentiert der Radiojournalist Gábor Paál (SWR 2) die aktuelle Urheberrechtsdebatte. In einem Gastbeitrag zeichnet Paál nach, warum auch Begriffe wie “Werk”, “Schöpfung”, “Leistung” und “Eigentum” vielerorts Verwirrung stiften.
Zum Autor
Gábor Paál arbeitet als Moderator, Redakteur und Autor vor allem für SWR2. In seinen Sendungen befasst er sich vor allem mit Fragen der Nachhaltigkeit, des Globalen Wandels sowie den Veränderungen der Wissens- und Mediengesellschaft. Darüber hinaus betreut er die Reihe “1000 Antworten – Frag den Paal!”. Seine Sendungen wurden mehrfach ausgezeichnet.
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Ich möchte im Folgenden einige Beobachtungen aus dem journalistischen Alltag schildern. Sie werden vermutlich wenig dazu beitragen, die Probleme um Urheberrechte und Geistiges Eigentum, um Schutzfristen und Privatkopien zu lösen. Mir erscheinen sie aber insofern interessant, als sie verdeutlichen, welche Faktoren jenseits der juristischen Definitionen beeinflussen, ob und inwieweit sich jemand als „Geistiger Eigentümer“ betrachtet. Und möglicherweise sind sie relevant für die Frage: Welche Werke verdienen unter welchen Voraussetzungen welchen Schutz?
Jeden Tag werden im Radio und Fernsehen etliche Experten interviewt oder zu Diskussionssendungen eingeladen. Ein großer Teil von ihnen sind Professoren oder haben einen vergleichbaren Status, sind also Angestellte des öffentlichen Dienstes. Wer als Redakteur regelmäßig mit solchen Experten zusammenarbeitet, macht die Erfahrung, dass manche von ihnen selbstverständlich für ein Interview oder für eine Teilnahme an einer Diskussionssendung ein Honorar erwarten und sich schon bei der ersten Anfrage nach der Höhe erkundigen. Andere dagegen zeigen sich sehr verwundert, wenn das Thema angesprochen wird, weil sie – genauso selbstverständlich – davon ausgehen, dass Interviews Ehrensache sind bzw. im Interesse des Interviewten liegen.
Irgendwann ist mir aufgefallen, dass diese Unterschiede nicht einfach nur mit persönlichen Charakterzügen der Gesprächspartner zu tun hat – dass also die einen einfach bescheidener wären als die anderen. Ein entscheidender Faktor ist vielmehr die wissenschaftliche Disziplin, in der sich die Experten bewegen. Geisteswissenschaftler (inklusive Theoretiker der Sozialwissenschaften) erwarten wesentlich häufiger ein Honorar als Naturwissenschaftler. Entsprechend thematisieren sie die Honorarfrage relativ früh.
Unterschiedliches Selbstbild von Geistes- und Naturwissenschaftlern
Nun gibt es im öffentlich-rechtlichen Rundfunk keine einheitliche Regelung, was Honorare für Experten betrifft. Da wir selbst eine öffentlich-rechtliche Einrichtung sind und uns aus Gebühren finanzieren, können wir uns üppige Honorarzahlungen gar nicht leisten. In der Praxis bedeutet dies: Für ein kurzes Telefoninterview bekommen Professoren in der Regel kein Honorar, ebenso wenig, wenn ein Reporter sie für ein Interview besucht. Wenn sie dagegen für eine Diskussionssendung extra in ein Studio kommen oder gar einen eigenen Text im Radio publizieren, erhalten sie eine Aufwandsentschädigung.
Gelegentlich kommt es also vor, dass ein Gesprächspartner nach Geld fragt, wo eigentlich keines zur Verfügung steht. Ein bekannter Politikwissenschaftler („Parteienforscher“) lehnte selbst ein kurzes, dreiminütiges Radio-Interview ab: „Sagen Sie Ihrem Chef, ich gebe Interviews nur gegen Honorar“. Auf den Hinweis, dass seine Professur doch aus Steuergeldern finanziert werde und somit die Öffentlichkeit doch auch einen Anspruch auf seine wissenschaftliche Expertise habe, erklärte er, dass er ja mitnichten über seine Forschungen spreche, sondern helfe „Sendezeit zu füllen“. Ein ebenso bekannter Psychotherapeut verwies mich – der einst als junger Reporter für ein Interview zu ihm nach Hause kam – explizit auf sein „geistiges Eigentum“, das er mir und dem Sender zur Verfügung stelle.
Bei Naturwissenschaftlern – und seien sie noch so prominent – habe ich so etwas nie erlebt. Nach ihrem Verständnis geben sie ja nur den “Stand der Wissenschaft” wieder und betrachten sich lediglich als deren Kommunikatoren. Ein Honorar, das sie für eine Beteiligung an einer längeren Sendung erhalten, betrachten sie bestenfalls als Aufwandsentschädigung, und immer wieder habe ich es erlebt, dass sie dieses Honorar dann umgehend spenden. Aber kaum einer von ihnen kommt auf die Idee, ein Honorar dafür zu erwarten, dass er seine mit öffentlichen Mitteln erworbene Expertise der Öffentlichkeit zur Verfügung stellt, geschweige denn dafür, dass er von seinem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch macht.
Nun hat das alles mit Urheberrechten scheinbar noch gar nichts zu tun, letztlich aber doch. Die – beim erwähnten Psychotherapeuten – Verwechslung von „Leistung“ mit „Eigentum“ scheint mir symptomatisch zu sein für die aktuelle Debatte. „Urheberrechtsschützer“ haben ja Recht mit der Forderung, dass geistige Arbeit angemessen entlohnt werden muss – aber solange es nur um die Arbeit geht, braucht es dazu kein Urheberrecht. Für geistige Leistungen gibt es auch andere Entlohnungsformen.
Als Wissenschaft getarnte Literatur
Zu dieser Beobachtung aus dem journalistischen Alltag passt eine zweite. Sie betrifft die Frage: Wann empfinden wir ein Plagiat als Plagiat? Offensichtlich im Fall Guttenberg, denn der Verteidigungsminister hat Dutzende fremder Textbausteine fast wortgleich übernommen, ohne sie als Zitat zu kennzeichnen. Es handelte sich um eine juristische Arbeit, wobei es sich bei den meisten der „geklauten“ Passagen nicht etwa um empirisch ermittelte Erkenntnisse handelte, sondern eher um rechtspolitische Statements, also um Meinung.
In den Naturwissenschaftlern, so wurde im Zusammenhang mit der Guttenberg-Affäre oft konstatiert, seien Plagiate seltener, da hier die Promotion in der Regel eine eigene empirische Arbeit voraussetzt (die zwar, wie wir aus manchen Betrugsfällen wissen, auch aus erfundenen Versuchsreihen bestehen kann, aber hier handelt es sich ja um eine Fälschung, nicht um ein Plagiat).
Aber das ist wohl nur die halbe Erklärung. Die andere Hälfte ist, dass naturwissenschaftliche Erkenntnisse nun einmal nicht als geistige Schöpfung betrachtet werden, und ihnen somit nicht der Status eines geistigen Eigentums beigemessen wird. Wer Newtons und Einsteins Energie-Gleichungen verwendet oder eine Gensequenz veröffentlicht, setzt diese nicht in Anführungszeichen. Zugespitzt: Empirische Wissenschaftler betrachten sich eher als „Entdecker“, Geisteswissenschaftler dagegen als „Erfinder“ (wovon? Von schönen Gedanken oder Formulierungen? Und handelt es sich in dem Moment noch um Wissenschaft oder um Literatur?). Aber auch diese Unterscheidung hilft nicht weiter, denn sie wirft gleich die nächste Frage auf: Wann wird eine Entdeckung – in unserer Wahrnehmung – zur Erfindung, zur eigenständigen Schöpfung?
Das Kriterium der Fülle
Den entscheidenden Schlüssel hierfür liefert vielleicht ein Begriff, den der Philosoph Nelson Goodman eingeführt hat: Fülle. Er benutzte das Wort, um auf einen wesentlichen Unterschied zwischen Kunst und Wissenschaft hinzuweisen: Bei der Beurteilung einer Arbeit in den (empirischen) Wissenschaften kommt es vor allem auf den abstrakten Gehalt an: Die Aussagen müssen plausibel, der Text verständlich und die Grafiken richtig gezeichnet sein; aber es ist nicht wichtig, in welchem Schrifttyp der Text gedruckt ist, welche Proportionen die Absätze haben und ob die Linien in den Grafiken rot oder blau, gestrichelt oder gepunktet sind, solange sie im Prinzip die Verhältnisse richtig wiedergeben.
Die Ästhetik der Kunst dagegen zeichnet sich durch Fülle aus: Jedes Detail zählt. Niemand gibt sich mit einem Musikstück zufrieden, in dem die Melodie „im Prinzip“ erkennbar ist, und niemand beurteilt ein Gemälde danach, ob es ein Objekt „im wesentlichen“ richtig darstellt. Vielmehr kann alles, was man an einem Kunstwerk wahrnehmen kann, Gegenstand des Urteils werden. Dies ist in der Tat eine Eigenschaft, die die Kunst wesentlich von anderen Erkenntnisstilen unterscheidet.
Die Texte von Geisteswissenschaftlern leben von ihren Formulierungen. Halten Philosophen oder Historiker Vorträge, lesen sie häufig ein ausgearbeitetes Manuskript ab. Naturwissenschaftler machen sich Stichworte oder hangeln sich an Folien entlang, sprechen aber eher frei, weil es auf das einzelne Wort nicht ankommt. Ihre Texte sind in diesem Sinn nicht „voll“.
Noch etwas kommt hinzu: Die Geisteswissenschaften sind, mehr als die „exakten“, empirischen Naturwissenschaften, von hermeneutischen, deutenden und wertenden Methoden geprägt. Hierbei kommt die Individualität und Subjektivität (urheber-terminologisch: die Schöpfungshöhe) der jeweiligen Wissenschaftler sehr viel stärker zum Ausdruck als etwa im Nature-Paper eines Physikers.
Es geht nicht um Kreativität
Für Juristen mögen diese Feststellungen banal sein: Es gehört schließlich zu den Grundgedanken des Urheberrechts, wonach Fakten und Ideen – kurz: die Inhalte als solche – keinen urheberrechtlichen Schutz genießen, sondern nur die konkrete Ausdrucksform, in die sie in einem Werk in Erscheinung treten: Es ist schließlich gestattet, Inhalte eines Textes umzuformulieren und in einem anderen Text zusammenzufassen, erst die unerlaubte Übernahme von Formulierungen verstößt gegen das Urheberrecht. Oder, wie es so schön (nach einem Zitat von Wilson Mizmer – oder war es doch schon John Milton?) heißt: Wer von einem anderen abschreibt, begeht ein Plagiat; wer von vielen abschreibt, betreibt „Recherche“. Weil aber bei geisteswissenschaftlichen Werken sowohl die Form als auch die Individualität des Urhebers eine größere Rolle spielt, ist auch die „gefühlte Schöpfungshöhe“ größer.
Man könnte also sagen, Goodmans Begriff der Fülle entspricht dem der Form im Immaterialgüterrecht. Das wäre noch nicht weiter interessant. Doch wenn Fülle ein entscheidendes Kriterium dafür ist, ob jemandem ein geistiges Eigentum für ein Werk zugebilligt wird, offenbart dies zugleich, dass ein anderer Begriff dafür überraschend wenig taugt: Kreativität. Kreativität ist juristisch nicht definiert. Das Wort taucht im Urheberrechtsgesetz nicht auf.
Aus gutem Grund. Realistisch betrachtet, ist Kreativität nichts, was an spezielle Handlungen geknüpft wäre. Es gibt kaum eine Handlung, die nicht prinzipiell auch Raum für Kreativität ließe, und ob eine Handlung kreativ ist, hat nur wenig damit zu tun, ob die Produkte nach außen hin innovativ sind und von anderen als neuartig anerkannt werden. Eine Ärztin beispielsweise hat an sich keine innovative Aufgabe. Sie soll Krankheiten bekämpfen und keine erfinden. Trotzdem kann sie, etwa in der Diagnose von Krankheiten, kreativ sein. Jeder Patient ist schließlich anders und stellt für die Ärztin eine neue Aufgabe dar, ohne dass irgendjemand außer ihr das „Neuartige“ am speziellen Fall erkennt.
Was ist eine Schöpfung?
Und so gibt es viele Handlungen, die keine neuartigen Produkte hervorbringen, und dennoch äußerst kreativ sein können: Die Erziehung von Kindern, die Pflege alter Menschen, die konstruktive Lösung von Interessenskonflikten. Bei all diesen Leistungen käme niemand auf die Idee, irgendeinen Schutzanspruch geltend zu machen.
Nun enthält das Urheberrechtsgesetz einen seltsamen Zirkelschluss: § 7: Der Urheber ist der Schöpfer eines Werks. Was wiederum ein Werk ist, klärt § 2: Werke sind „persönliche geistige Schöpfungen“. Und was ist nun eine Schöpfung? Sind nicht auch Arztberichte, Kochrezepte, Demo-Transparente, Tarifvertragsentwürfe oder ein über Jahre aufgebautes Beziehungsnetz persönliche geistige Schöpfungen und somit als „Werke“ zu betrachten? Die Frage stellt sich nur deshalb nicht, weil das Gesetz die Arten von Werken explizit aufzählt, die es schützen will: Bestimmte Texte, alle Arten von Lichtbildern (egal ob künstlerisch oder Schnappschuss), aber (zum Bedauern des Radiojournalisten): einfache Tonaufnahmen sind nicht geschützt. Doch selbst wenn man unter den sogenannten „kreativen“ Berufen bleibt: Ist ein Reporter wirklich immer „kreativer“ als seine Redakteurin? Oder, um bei unserem Beispiel zu bleiben: Ist geisteswissenschaftliches Arbeiten per se kreativer als naturwissenschaftliches?
Zumindest erwecken die genannten Akteure den Eindruck. Doch das Urheberrecht schützt eben nicht die Kreativität, sondern das Werk, und ein frei geführtes Interview oder Äußerungen in einer Diskussionssendung dürften in der Regel keinen Werkcharakter haben. Dennoch wird die Frage nach dem Honorar nicht zuletzt mit Verweis auf das „geistige Eigentum“ begründet. Die Akteure übertragen also ihr Selbstverständnis als „Kreative“, das aus dem Fabrizieren von Texten herrührt, auf quasi jegliche fachliche Äußerung, die aus ihrem Mund kommt.
Auch hier gilt: Es könnte ja egal sein, wenn Leute falsche Begriffe verwenden. Faktisch aber werden (etwa bei der VG Wort) jegliche medial gesendete Äußerungen als „Werke“ behandelt, was urheberrechtlich doch fragwürdig scheint. Eine ehemalige Justizministerin ließ ihr Büro gelegentlich bei den Sendern anrufen, wann denn das Interview mit ihr gesendet werde – „wegen der VG Wort-Meldung“. (Wobei sich hier neben der Frage, ob ein Interview-Statement als „Werk“ zu werten ist, darüber hinaus noch einwenden lässt, dass es sich wenn, dann zweifellos um ein „amtliches“ Werk i. S. von §5 UrhG handelt, das keinen Schutz genießt.)
Konsequenzen
Wenn die Frage lautet, wie ein künftiges Urheberrecht aussehen sollte, habe ich darauf keine abschließende Antwort. Eines scheint mir aber offensichtlich: Wenn das Urheberrecht Kreativität per se gar nicht schützt, sollte auch niemand so tun als ob. Umgekehrt sind viele Werke im Sinne Goodmans „voll“, aber nicht kreativ. Vielleicht hatte Michael Kausch recht, als er im SWR2 Forum sagte: In zwanzig Jahren würde einem Guttenberg der Doktortitel nicht deshalb aberkannt, weil er Passagen abgeschrieben hat – sondern schlicht weil er keine eigene kreative Leistung erbracht, keine neuen und relevanten Erkenntnisse zu Tage gefördert hat.
Dies alles legt aus meiner Sicht nahe, dass Goodmans Unterscheidung zwischen Kunst und Wissenschaft auch für ein reformiertes Urheberrecht relevant ist. In der Tradition der Piraten wird gerne jegliche kulturelle Äußerung als „Wissen“ bezeichnet, zu dem der freie Zugang gesichert werden müsste. Doch wir subsumieren unter „Kultur“ so unterschiedliche Dinge wie Wissenschaft und Kunst. Nun ist das Generieren von Wissen – gleich welcher Art – zweifellos ein kreativer Akt (und je interessanter das Wissen, desto mehr Kreativität steckt meist dahinter), muss aber deshalb per se nicht noch nicht automatisch urheberrechtlich bedeutsam sein.
Gleichzeitig scheint es mir am Ende wichtiger, den freien Zugang zu Wissen – nicht nur Wissenschaft – zu sichern als den freien Zugang zu jeglicher Kunst. Was Journalisten an Wissen aus Israel, Syrien und dem Iran zusammentragen, ist gesellschaftlich relevanter (ich hoffe es zumindest) als jedes Gedicht darüber. Deshalb bin ich als Bürger im Bereich der Kunst eher als im Journalismus oder der Wissenschaft bereit, die „Belohnung“ des Urhebers von seinem Erfolg abhängig zu machen – sprich davon, inwieweit er oder sie das Publikum von sich überzeugt.
Im Journalismus – genauer: im recherchierenden Journalismus – scheint mir das Pochen auf eine angemessene Entlohnung wichtiger als die radikale Ablehnung von Buy-Out-Verträgen. Es gibt faire Buy-Out-Verträge ebenso wie unanständige Folgevergütungsverträge: Dem Journalismus täte es nicht gut, wenn sich die Vergütung eines einzelnen Berichts an seiner „Quote“ bemäße. Und da die meisten meiner Beiträge im Kulturprogramm SWR2 laufen, wäre ich auch nicht begeistert, wenn mein Honorar von der Reichweite des Programms abhinge (denn dann dürfte ich nur ein Zehntel dessen bekommen, was die Kollegen bei SWR3 bekommen),
Wie auch immer, es ist eine Sache, wem wir eine geistige Urheberschaft zubilligen – und eine gänzlich andere, was daraus folgt. Ein künftiges Urheberrecht sollte deshalb – und das ist ja eine gängige Forderung – stärker zwischen ideellen (was darf mit meinem Werk ohne meine Einwilligung geschehen?) und materiellen Rechten (was bekomme ich, wenn mein Werk kopiert wird?) unterscheiden.
Kreativität ist etwas Schönes. Die eigene Kreativität zur Entfaltung bringen zu dürfen und dafür Anerkennung zu bekommen, ist ein Privileg. Es ist das gute Recht jedes einzelnen, mit Hilfe seiner Kreativität seinen eigenen Marktwert zu steigern. Auch gibt es gute Gründe, die Verbreitung von Werken freischaffender Urheber an eine Vergütung zu koppeln. Aber Kreativität per se ist nichts, was bestimmte Verwertungsansprüche begründet. Und schon gar nicht ist Kreativität einer bestimmten Branche vorbehalten, die diesen Begriff für sich in Beschlag genommen hat.
5 Kommentare
1 Alex am 24. Mai, 2012 um 20:21
Danke für die interessanten Gedanken. Darf ich sie verbreiten?? ;)
2 Stefan am 24. Mai, 2012 um 22:52
Sorry, aber der Text ist zu lang. Bei dem vielen Lesen tagtäglich…
3 Felix am 24. Mai, 2012 um 23:47
Ich habe mir bereits eine gut Lösung für die Problematik ausgedacht. Ich gebe sie aber nur gekoppelt an eine Vergütung weiter.
Jetzt im Ernst. Die Debatte ist doch viel tiefgreifender. Zum ersten möchte ich gerne anbringen, dass ein Begriff häufig falsch verwendet wird. Fälschlicherweise wird oft “urheberrechtlich geschützt” gesagt. Wo ist hier ein Schutz? Der korrekte Begriff ist “urheberrechtlich eingeschränkt” – da es vor allem darum geht, die Nutzung einer Sache einzuschränken.
Blicken wir einmal in der Geschichte zurück. Die urheberrechtliche Einschränkung wurde vom britischen Königshaus erfunden, als die ersten Druckmaschinen aufkamen.
Vor dem Buchdruck haben die Leute Bücher von Hand abgeschrieben. Ein Autor war sehr dankbar dafür, wenn sich jemand die Mühe machte, sein Buch abzuschreiben. Dann gab es nämlich ein zweites, drittes oder gar noch mehr Exemplare des Buchs, was seinen Bekanntheitsgrad steigerte. Mitunter hat man dabei den Inhalt des abgeschriebenen Buchs mit eigenem Wissen angereichert, ergänzt, auf den neusten Stand gebracht. Dann wurden der Buchdruck erfunden und das Abschreiben von Hand wurde damit unwirtschaftlich.
Das britische Königshaus führte das erste Urheberrecht ein. Ziel war in erster Linie eine Zensur und die Kontrolle von Massendrucksachen durch das Königshaus. Druckstücke durften nur in der königlichen Druckerei vervielfältigt werden. Diese mußten vorher geprüft werden und der Urheber der Schriften mußte sich persönlich zu erkennen geben. Wenn ein Werk vom Königshaus zum Druck freigegeben wurde, bekam der Urheber das Recht, dieses Werk drucken zu lassen und zu verbreiten.
Urheber, deren Werke dem Königshaus ungelegen waren bekamen kein Urheberrecht und durften ihre Werke damit weder vervielfältigen noch verbreiten.
Sinn und Zweck des sogenannten Urheberrechtes war es also von Anfang an Werke einzuschränken und zu zensieren.
Heute sind wir in einer Lage wie in der Zeit vor dem mechanischen Buchdruck. Es ist wieder wirtschaftlich geworden, dass sich jeder eine eigene Abschrift anfertigen kann. Und zwar mit der Hilfe von Digitaltechnik. Das Urheberrecht, das einem Urheber das Recht zur Vervielfältigung eines dem Machtapparat genehmen Werkes gibt ist damit überflüssig geworden, denn durch die Möglichkeit digitale Abschriften anzufertigen entfällt die Notwendigkeit einer mechanischen Vervielfältigung durch Druckmaschinen, Plattenpressen usw.
Jedem Anwender stehen 4 Freiheiten zu. Das gilt für Software und auch alle anderen Dinge:
1. Bezüglich Software: Der Anwender soll eine Software universell für den Zweck einsetzen können, den er wünscht.
2. Der Anwender soll eine Sache studieren und davon lernen können. Bezüglich Software heißt das die Zugänglichkeit des Codes.
3. Der Anwender soll in der Lage sein eine Sache zu verändern, seinen Bedürfnissen anzupassen oder zu verbessern. Bezüglich Musik: Remixen, ergänzen. Ein Buch mit eigenen Kommentaren anreichern, eine Software ergänzen, Fehler beheben, neue Funktionen einbauen.
4. Der Anwender soll in der Lage sein, die Sache mit Verbesserungen, Veränderungen usw. mit anderen zu teilen.
Sachen, die ihrem Anwender diese Freiheiten rauben sind eingeschränkt. Man sollte sie weder kaufen noch sonst irgendwie nutzen.
Ein paar Video- und Musikportale bieten inzwischen die Möglichkeit an, dass man eingeschränktes Material blockieren kann. Dann wird es nicht mehr mit den Suchergebnissen angezeigt. Das finde ich sehr gut und ich hoffe, dass bald viele Leute davon Gebrauch machen.
Auch Internetsuchmaschinen sollten eine Funktion haben, die eingeschränkten Content automatisch ignoriert.
4 Felix am 25. Mai, 2012 um 00:21
Fortsetzung: Auf auf den Anfang zurückzukommen. Es geht bei der Debatte nicht um das Recht der Urheber ein Werk vervielfältigen und mit dem Segen eines Königshauses verbreiten zu dürfen – sondern sie stellt Teile unserer Gesellschaftsordnung infrage.
Dazu muss man auch wieder etwas ausholen. Naturvölker kennen keinen Privatbesitz. Sie leben in Großfamilien und Dorfgemeinschaften und alles gehört allen. In der Zeit der Feudalherrschaft gehörte alles dem jeweiligen Fürsten. Nach dem 30-järhigen Krieg war praktisch die gesamte Bevölkerung Leibeigene ihrer Herrscher und hatten damit überhaupt kein Recht auf Eigentum. Alles gehörte dem Fürsten, das Land inklusive seiner Bewohner. Der Fürst hatte sogar das Recht auf die erste Nacht mit einer Braut und das Wenige, das man besaß, wie Kleidung, Essnapf usw. fiel nach dem Tode dem Fürsten zu.
Erst mit der Überwindung der Feudalherrschaft konnte die Bevölkerung wieder Besitz an Gegenständen erlangen. Dementsprechend war das Recht auf Eigentum ein großer Fortschritt gegenüber der Feudalherrschaft mit ihrer Leibeigenschaft.
Heute haben wir das Industriezeitalter hinter uns gelassen, auch die Dienstleistungsgesellschaft geht bald vorüber. Unsere Gesellschaft wandelt sich zu einer Wissensgesellschaft. Regelungen, die früher eine Sinn hatten verkehren sich hier ins Gegenteil. Wissen ist die einzige Ressource, die sich durch Teilen vermehrt. Warum nutzen wir diesen Vorteil nicht?
Ja, ich vergaß das Geld, von dem manche den Hals einfach nicht voll genug kriegen können.
Und genau dieses Geld ist es, das nun dem Fortschritt im Wege steht. Die gesamte Gesellschaft muss sich wandeln. Geistige Güter sind per Definition Allgemeingut. Software ist z.B. so wichtig, dass man die Kontrolle darüber keinem einzelnen Unternehmen und auch keinem Unternehmensoligopol in die Hand geben darf. Computersoftware muss gemeinfrei sein. Mir wird z.B. bei dem Gedanken schlecht, dass staatliche Behörden Computer mit einem proprietären Bios und proprietärer Software verwenden – niemand weiß, was die für Daten an ihre “Urheber” übermitteln – jeder weiß, welch unverschämten Backdoors Microsoft und Apple in ihre Software einbauen. Die können aus der Ferne sogar Software deinstallieren, manipulieren oder einen Computer gegen den Willen des Besitzers unbrauchbar machen.
Die Industrie antwortet natürlich, dass sie Geld benötigt und daher Mechanismen braucht, die den Anwender zum zahlen zwingt.
Ähnlich ist es bei Druckstücken und Tonträgern. Solange sie physikalisch gebunden waren hatte man ein einfaches Mittel den Anwender zum Zahlen zu bewegen, da er den Gegenstand physikalisch erwerben mußte. Dank digitaler Abschriften ist das nicht mehr erforderlich. Wie will man nun den Anwender zum Zahlen zwingen? Indem man jeden einzelnen Computer und alles was damit gemacht wird zentral überwacht? Das wäre der Traum von Stasi und Gestapo gewesen.
Stellen wir also fest: Es gibt technisch keine Möglichkeit, um einen z.B. einen Musikhörer zum Bezahlen einer Audiodatei zu zwingen, die er einfach kopieren und weitergeben kann.
Daraus folgt, dass sich die Gesellschaft wieder kollektiven Gütern zuwenden muss. Unsere hochtechnisierte und automatisierte Wirtschaft ist so produktiv, dass für jeden ein Grundeinkommen machbar ist. Und jetzt kommen wir zum Punkt: Wenn das Urheberrecht fällt, brauchen wir ein anderes, ein neues System, wie wir gemeinsam Leben, unsere Leistungen teilen und unsere Existenz erhalten können. Das heißt nicht, dass wir uns vom Kapitalismus verabschieden müssen, aber es muss ein Umdenken stattfinden. Es gibt einige Reiche, die in einer neuen Gesellschaft ihre großen Reichtümer nicht mehr aufrecht halten können, weil Geld dann einen geringeren Wert hat. Und deshalb stemmen sie sich mit Gewalt gegen die Änderungen. Und da wir uns auf dem Wandel zu einer Wissensgesellschaft befinden, hängt es am Urheberrecht.
Wenn das endlich fällt und den Menschen die 4 vorgenannten Freiheiten nicht mehr geraubt werden, dann wird sich auch unser wirtschaftliches Zusammenleben ändern.
Menschen arbeiten am besten durch intrinsische Motivation. In so einer neuen Gesellschaft wird niemand mehr gezwungen eine Arbeit zu tun, die er nicht mag, nur weil er das Geld braucht um nicht zu verhungern und nicht zu erfrieren. Wenn man einmal betrachtet, wie viele Leute es gibt, die so viel Geld haben, dass sie nicht arbeiten brächten – und die meisten von ihnen arbeiten, teils sogar in sehr anstrengenden Jobs.
Steve Jobs als prominentes Beispiel hätte längst nicht mehr arbeiten brauchen. Er tat es aber trotzdem, trotz schwerer Krankheit, und auch nicht des Geldes wegen.
Es gibt viele Industriemanager, die mit ihren Millionenboni längst zu Hause bleiben könnten – trotzdem jetten sie um den Globus und arbeiten.
Es muss also etwas anderes sein, das den Menschen zur Arbeit motiviert: Die Arbeit selbst. Und da wären wir wieder beim bedingungslosen Grundeinkommen.
Was sagen Sie dazu?