Verletzen Nutzer von Streaming-Plattformen das Urheberrecht?
Die Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen e.V. (GVU) und die Filmindustrie können sich über ein Weihnachtspräsent freuen, das sie mit dreister bis irreführender Öffentlichkeitsarbeit selbst herbeigeführt haben, das sich aber als Danaergeschenk erweisen wird.
Aktualisierung vom 29.12.2011 des Beitrags vom 23.12.2011
Ein FOCUS-Redakteur hat keine Ahnung von der Komplexität des Urheberrechts (was ihm nicht vorzuwerfen ist), schreibt aber darüber, ohne sich schlau zu machen (was ihm sehr wohl vorzuwerfen ist). Was dabei herauskommt, ist eine Art Abschrift einer Pressemitteilung, die die GVU am 22. Dezember veröffentlicht hat (Link unten). Die These: Wer einen Film bei kino.to auch nur anschaut, macht sich strafbar. Dementsprechend auch die Focus-Schlagzeile: “Nutzer von Raubkopie-Streams machen sich strafbar.”
Das ist zwar sehr wahrscheinlich falsch (dazu weiter unten), aber immer noch besser als das, was die folgenden Abschreiber daraus machen:
“Filme „nur“ streamen? Strafbar!” titelt Bild Online, und W&V schreibt: “Gericht: Kino.to-Nutzung ist Straftat”. Und ohne zweifelhafte Hilfe von Focus wusste sueddeutsche.de zu berichten: “Streaming ist illegal”. Was natürlich völliger Nonsens ist, denn dann könnten wir die Verantwortlichen von ARD, ZDF, RTL, SAT1 und Tausenden anderen Websites demnächst genauso im Knast besuchen wie die Chefs der SZ, die für deren Video-Portal den Kopf hinhalten müssen. Darüber hinaus sämtliche Internet-Nutzer. Also etwa 70 Prozent der Bevölkerung.
Dabei hatten lange vorher Fach-Websites bereits über die äußerst dünne Faktenlage berichtet – und in ihren Artikeln wesentlich besser eingeschätzt, was von Informationen einer Pressemitteilung einer Lobby-Vereinigung zu halten ist, die auf der mündlichen Darlegung eines Amtsrichters zu seinem Urteil beruht, dessen schriftliche Begründung noch aussteht. Nicht viel nämlich. (Wir haben darauf natürlich ebenfalls hingewiesen: in diesem Beitrag am 23.12.). Aber deutsche Journalisten lesen bekanntlich keine Blogs, weil das die Klowände des Internets sind (ja, ich weiß, das ist eine unzulässige Verallgemeinerung, die nur ungefähr 98 Prozent der Zunft abdeckt. Die 2 Prozent bitte ich um Verzeihung).
Nun finden sich inzwischen etwa 100 Beiträge deutscher Publikationen, die den Tenor der GVU-Presseerklärung unreflektiert wiederkäuen, was den einen oder anderen Korken dort bereits vor Silvester aus der Schampusflasche knallen lassen dürfte. Die Experten, die erläutern, dass es sich bei diesem obiter dictum eines Amtsrichters aus Leipzig um alles andere handelt als eine Grundsatzentscheidung, gehen darin unter: Clemens Gäfgen, Thomas Stadler, Sebastian Dosch – nicht zu vergessen natürlich die Analyse zur rechtlichen Einschätzung von kino.to und Videostreaming der iRights.info-Redakteure Till Kreutzer und John Weitzmann (s. unten in diesem Beitrag).
Ähnlich der unsäglichen Kampagne Raubkopierer sind Verbrecher, haben wir es wieder mit einem Fall zu tun, bei dem die Rechteverwerter und ihre Lobbygruppen Nebelkerzen werfen, um den Eindruck zu erwecken, alles, was sie nicht erlauben, sei verboten. Um sich dann bei nächster Gelegenheit über “mangelnde Unrechtsbewusstsein” der Bevölkerung zu beklagen. Von dem natürlich jeder jederzeit ausgehen muss, der ein Rechtsbewusstsein damit gleichsetzt, dass andere immer der eigenen Auffassung sein müssen.
Nutzer glauben also zum einen, dass immer mehr von dem, was sie täglich tun, illegal ist: erst war es die Privatkopie, nun ist es das Anschauen von Streams im Netz (oder Anhören, denn dem Stream ist es egal, was er transportiert). Zum anderen haben sie die Befürchtung, für all die Handlungen, die zum einen völlig selbstverständlich sind, deren rechtliche Einschätzung aber selbst Experten Kopfzerbrechen bereitet, mit Abmahnungskosten in Höhe von mehreren Tausend Euro belegt zu werden. (dazu auch: Und bevor man etwas streamt, werde man Experte der Entertainmentindustrie)
Die Folge: Eine “die da oben gegen uns hier unten“-Haltung, bei der vor allem eine Gruppe unter die Räder kommt: Die Urheber. Denn wann immer einer von ihnen leise daran erinnert, dass sie ja auch gern von den Früchten ihrer Arbeit leben möchten, liest man in den Kommentarspalten Dutzende Kommentare von gieriger Musikindustrie, Massenabmahnungen und Verblödungskampagnen. Doch selbst wenn diese Hinweise richtig sind, vergessen die Kommentatoren dabei meist eins: Dass sie den Esel schlagen (die Urheber), aber den Sack meinen (die Urheberrechtsindustrie).
Und leider müssen sich auch die Urheber diesen Schuh anziehen. Denn solange Ihre Vertreter sie sich mit völlig fehlgeleiteten Initiativen mit den Rechteverwertern ins Boot setzen oder Vorschläge machen, die lediglich vortäuschen, die Interessen der Urheber zu vertreten, dürfen sie sich über mangelnden Rückhalt bei den Nutzern nicht wundern.
Und so stolpern wir von einem Konflikt zum nächsten, ohne einer Lösung des Problems, wie Urheber für ihre Arbeit vergütet werden können, näher zu kommen. Und so lange Akteure wie GVU-Geschäftsführer Matthias Leonardy sich darauf zurückziehen, nur einen Job zu machen, der der geltenden Rechtslage entspricht, ihnen aber die Einschätzung, ob ihr Handeln gesellschaftlich gesehen richtig ist oder nicht (im Video bei 1:06 Stunden), völlig gleichgültig ist, wird es wohl dabei bleiben, dass man sich lieber (verbal) gegenseitig die Köpfe einschlägt, als nach einer Lösung zu suchen.
Hier der ursprüngliche Beitrag vom 23.12.2011:
Wie die Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen e.V. (GVU) in einer Presseerklärung berichtet, geht der Leipziger Amtsrichter Mathias Winderlich davon aus, dass das Anschauen von Videos per Streaming eine Verbreitung und Vervielfältigung sei, daher dadurch auch Urheberrechtsverletzungen begangen werden können:
Mit dem Begriff „vervielfältigen“ habe der Gesetzgeber das „Herunterladen“ gemeint, führte Richter Winderlich aus. Dazu gehöre auch das zeitweilige Herunterladen. Nichts anderes finde beim Streaming statt: Es würden Datenpakete sukzessive heruntergeladen. Dies sei eine sukzessive Vervielfältigung. Jeder Nutzer von illegalen Streaming-Portalen müsse sich bewusst sein, dass dahinter eine Vervielfältigungshandlung stehen könne.
Diese Auffassung ist besonders deshalb interessant, weil bisher keine Urteile zu dieser Frage bekannt waren. Ob die Auffassung unwidersprochen bleiben wird, ist allerdings zu bezweifeln. So haben die iRights.info-Autoren Till Kreutzer und John Weitzmann in ihrer Analyse der Frage unter dem Titel Video-Nutzung bei YouTube, kino.to und Co. eine wesentlich differenziertere Einschätzung getroffen:
Es gilt, dass technische Vervielfältigungen, die zum Beispiel beim Browsing erzeugt werden, grundsätzlich erlaubt sind. Allerdings enthält diese Vorschrift keine eindeutige Antwort auf die hier relevanten Fragen. Das liegt vor allem daran, dass sie sehr unklar und wenig eindeutig formuliert ist.
Klar ist hiernach lediglich, dass rechtmäßig in das Internet gestellte Inhalte per Streaming auf dem eigenen Rechner angeschaut werden dürfen. Sich die Tagesschau in der ARD-Mediathek anzusehen, ist also in Ordnung. Bei Streams, die über Plattformen wie kino.to abgerufen werden können, ist dies aber im Zweifel nicht der Fall.
Es ist sicherlich kein Zufall, dass eine Domain, auf der die neuesten Kinofilme für lau zu finden sind, im Südseeinselstaat Tonga registriert ist. Mit Sicherheit ist davon auszugehen, dass der Betreiber des Portals nicht die für ein solches Online-Angebot erforderlichen Rechte hat, es sich also mehr oder weniger eindeutig um eine rechtswidrige Quelle handelt.
Auch wenn das Angebot selbst rechtswidrig ist, heißt das nicht unbedingt, dass man die dort bereitgehaltenen Filme nicht ansehen darf. Man könnte einerseits sagen, dass es sich nur um einen digitalen Werkgenuss handelt, da die Inhalte nicht heruntergeladen, sondern nur gestreamt werden. Insofern wäre es egal, ob die Quelle rechtmäßig oder illegal ist. Ein (guter) Grund für diese Auffassung liegt darin, dass nur so der Nutzer aus den rechtlichen Fragen herausgehalten wird, die den Anbieter der Inhalte betreffen.
Die rechtlichen Hintergründe kann der private Nutzer in der Regel weder wissen noch beurteilen. Einer Kriminalisierung der Bevölkerung könnte so entgegengewirkt werden. Außerdem würde dadurch der Grundsatz aufrecht erhalten, dass der reine Werkgenuss durch das Urheberrecht nicht geregelt werden soll. Und das war bislang immer so: Niemand wäre auf die Idee gekommen, Radiohörer der in den sechziger und siebziger Jahren verbreiteten, illegalen Piratensender als Urheberrechtsverletzer anzusehen. Ob die Gerichte diese Auffassung teilen, ist allerdings völlig offen.
Dagegen könnte man zum Beispiel einwenden, dass kino.to und ähnliche Angebote offensichtlich rechtswidrig sind und deren Nutzung generell untersagt sein sollte. Einen Schutz vor unsicherer Rechtslage benötigen die Nutzer bei derart eindeutig illegalen Diensten somit nicht. Die Filmwirtschaft hätte zum Beispiel ein erhebliches Interesse an einem Verbot der Nutzung, da sie gegen die anonymen Anbieter im Ausland im Zweifel nicht effektiv vorgehen kann.
Die Auffassung von Amtsrichter Winderlich liegt nun vor. Ob der Verurteilte gegen das Urteil Rechtsmittel einlegen wird, die dann in einer höheren Instanz zu einer anderer Einschätzung führen könnte, ist nicht bekannt.
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