Plagiat oder was
Da hat ja die Hegemann zum Glück doch nicht den Leipziger Buchpreis bekommen. Nicht, dass das jemand erwartet hätte nach dem ganzen Bohei der vergangenen Wochen, außer vielleicht die Großschriftsteller, die noch schnell am Montag die Leipziger Erklärung veröffentlicht hatten, in der sie warnen: „Wenn ein Plagiat als preiswürdig erachtet wird, wenn geistiger Diebstahl und Verfälschungen als Kunst hingenommen werden, demonstriert diese Einstellung eine fahrlässige Akzeptanz von Rechtsverstößen im etablierten Literaturbetrieb.“ Es ist schon einiges schief an diesem Leipziger Allerlei (Witz komm raus!), aber das haben andere vor mir schon auseinander genommen.
Lustig ist auch, wie Julia Kristeva, die „Erfinderin“ der Intertextualität, im Interview mit der Welt einiges, was in den 70ern über den Tod des Autors (das waren allerdings hauptsächlich Foucault und Barthes) gesagt wurde, gerne wieder zurücknehmen würde:
Der Begriff des Subjekts und des kreativen Individuums, diese persönliche Konstruktionseinheit, die wir vom Juden- und Christentum geerbt haben, kollabiert. Wir verlieren den Begriff der Einzigartigkeit, der von Duns Scotus stammt. Einer Einzigartigkeit, die selbst Grenzen hat und auch die Grenzen anderer respektiert. Deshalb gibt es jetzt so viele Fälle von Plagiaten, von Missbräuchen und Manipulationen des geistigen Eigentums anderer, derer wir nicht durch bloße Verbote Herr werden können. Wir müssen langfristig über Schutzmechanismen nachdenken und die Voraussetzungen und Grenzen individueller Kreativität neu überdenken.
Muss man im Alter eigentlich immer konservativer werden? Schade eigentlich. Aber sie drückt sich erfolgreich drum, nun zu sagen, ob Helene Hegemann nun plagiert hat oder nicht: Das ließe sich nur beurteilen, wenn man sich das Buch im einzelnen anschauen würde, und das habe sie nicht getan.
Was ich aber eigentlich sagen wollte: Ich habe grad Jonathan Lethem’s großartigen Aufsatz „The ecstasy of influence“ in Harper’s Bazaar vom Februar 2007 entdeckt (ich weiß, etwas spät), wo er dieses ganze Nummer mit dem Abschreiben und der Intertextualität als Autor und Künstler beschreibt. Wieso das toll ist. Was man damit machen kann. Und das es alle Schriftsteller schon immer gemacht haben.
Bei den Google-Talks war er auch mal eingeladen. Hier das Video für die Lesefaulen:
Und zum Schluss eine kleine Vorschau: Ich habe mir das Buch „Reality Hunger“ von David Shields, den Lethem in seinem Aufsatz zitiert oder plündert (je nachdem, wie man zum Thema steht), besorgt und hab grade angefangen, es zu lesen. Ich werden dann hier an dieser Stelle drüber berichten, denn Shields stellt unter anderem die These auf, dass heute, wo wir vom Medialen und Fiktionalen umgeben sind, das Abschreiben eine Form ist, die Realität zu beschreiben. Für mich warf das ein neues Licht auf die ganze Hegemann/Airen-Debatte und diesem Begehren nach Authentizität, das da mitschwang. Es gab ja stimmen (nicht zuletzt Airen selbst), die betonten, dass das was in Strobo geschrieben stand, alles selbst erlebt sei, als ob das in irgendeiner Form was über den künstlerischen Wert aussagen würde.
Wenn man aber mit Shields im Hintergrund diese Sehnsucht nach Authentizität einbezieht, dann wird verständlich, wieso das überhaupt als Argument ins Feld geführt wird. Disclosure: persönlich interessiert mich das ganze Authentizität-Gerede null, jedenfalls wenn es um Literatur. Es gibt zwar Textformen und -genres, wo das eine Rolle spielen könnten, aber bei Romanen ist es mir egal, ob was in echt passiert ist oder nicht. Ich fand Axolotl Roadkill ein sehr gutes und auch gut geschriebenes Buch, während das was ich von Airen gelesen habe (aus seinem Blog) nicht so mein Fall war. Aber das mag jede halten, wie sie es will. Darum geht es ja hier erstmal nicht.
Jedenfalls: Stay tuned für more about Shields.
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