Lang: Google Book Settlement verstößt gegen Berner Konvention
Bernard Lang vom Institut National de Recherche en Informatique et en Automatique hat sich in einem erstmals am 20. April 2009 veröffentlichten und am 23. Juli 2009 aktualisierten Papier mit dem Titel Orphan Works and the Google Book Search Settlement – An International Perspective mit der Auswirkung des in den USA erzielten gerichtlichen Vergleichs auf die verwaisten Werke auseinandergesetzt.
Sein Aufsatz zielt in dieselbe Richtung, die auch James Grimmelmann in Part II seiner im April 2009 veröffentlichten Stellungnahme The Google Book Search Settlement – Ends, Means, and the Future of Books eingeschlagen hat, geht aber darüber hinaus, insofern er die Vereinbarkeit des Settlements mit internationalen Urheberrechtsabkommen, vor allem mit dem Drei-Stufen-Test der Berner Konvention betrachtet. Lang wirft Fragen auf, die nicht nur das Settlement betreffen, sondern auch die derzeit in vielen europäischen Ländern in Entwicklung befindlichen Gesetzesinitiativen für den zukünftigen Umgang mit verwaisten Werken.
Da der urheberrechtliche Schutz laut Berner Konvention nicht an eine Copyright-Registrierung welcher Art auch immer gebunden sein dürfe, erklärt Lang, setze die Nutzung verwaister Werke zunächst voraus, dass nach dem Autor eines solchen Werks gründlich und vergeblich gesucht worden sei. Versuche, diesen Aufwand zu vermeiden, liefen häufig darauf hinaus, eine Organisation kollektiver Rechteverwaltung zu beauftragen, die Rechte der Autoren verwaister Werke im Rahmen allgemeiner Lizenzen zu verwalten. Dies findet Lang problematisch: Die CMOs (Collective rights Management Organizations) gingen dabei wie selbstverständlich davon aus, eine homogene Gruppe von Rechteinhabern mit denselben kulturellen und ökonomischen Interessen zu repräsentieren. Die digitalen Publikationstechniken hätten jedoch die Produktions- und Distributionskosten gerade für Bücher derart gesenkt, dass Veröffentlichung und Vertrieb heutzutage nicht mehr notwendigerweise durch Urheberrechtstantiemen finanziert werden müssten. Autoren entschieden sich daher zunehmend für alternative Verwertungsmodelle, auf welche CMOs nicht eingestellt seien.
Lang hat aber noch einen bedeutenderen Einwand gegen die Ökonomisierung verwaister Werke durch Organisationen, die Rechteinhaber repräsentieren: Die Argumentation, warum verwaiste Werke der Verfügungsgewalt einer CMO unterstellt werden sollten, orientiere sich ausschließlich an den Interessen der Rechteinhaber nicht-verwaister Werke: Es solle Konkurrenz mit der Verwertung anderer geschützter Werke vermieden und eine zusätzliche Einkommensquelle für die CMO und ihre Mitglieder bzw. Wahrnehmungsberechtigten geschaffen werden. Insofern eine solche Regelung aber eine gravierende Einschränkung der exklusiven Verfügungsgewalt des Urhebers über sein Werk darstelle, müsse eine gesetzgeberische Lösung für die Verwertung verwaister Werke neben den Verwertungsinteressen der CMOs auch die Interessen der Urheber und der Öffentlichkeit im Blick behalten, sich also an den Kriterien des Drei-Stufen-Tests orientieren.
Im Hinblick auf das Google Settlement kommt Lang zu einem analogen Ergebnis: Ein Verstoß gegen das Prinzip der exklusiven “Werkherrschaft” des Autors, wie es die de-facto-Enteignung der Autoren verwaister Werke im Rahmen des Settlements darstelle (vergl. hier), sei legal nur im Rahmen einer Schrankenregelung denkbar, welche dann den Anforderungen des Drei-Stufen-Tests zu genügen hätte. Er stellt fest, dass es eine solche Schrankenregelung zum Beispiel in der kanadischen Gesetzgebung gibt, wo der Nutzer eines verwaisten Werks eine Gebühr an ein Gericht zahlen muss. Lang stellt aber fest, dass dieses Gesetz noch aus einer Zeit stammt, in der, anders als heute, die betroffenen Werknutzer grundsätzlich Verlage, mithin Wirtschaftsunternehmen waren. In Anbetracht der Produktions- und Distributionskosten sei die Gebühr und der mit ihr verbundene Aufwand nicht entscheidend dafür gewesen, ob eine Verwertung stattgefunden habe oder nicht. Dies sei heute anders, insofern heute verwaiste Werke dem Lesepublikum auf direktem Wege und ohne zusätzliche Kosten zugänglich gemacht werden könnten. Eine Gebühr würde also die Verbreitung durchaus hemmen. Insofern der Rechteinhaber, der Autor eines verwaisten Werks, von dieser Gebühr aller Wahrscheinlichkeit nach ohnehin nichts sehen werde, meint Lang, bleibe als sein ureigenstes Interesse nur noch der Ruhm der Nachwelt übrig. Der Autor verwaister Werke habe also dasselbe Interesse wie die lesende Öffentlichkeit: dass sein Werk so zugänglich wie möglich werde.
Nach dieser Argumentation liegt der Schluss nahe: Das Settlement dürfte eigentlich vom Gericht nicht genehmigt werden, da es als class action lediglich die Interessen der Beteiligten, Autoren/Rechteinhaber und Verwerter (Google) berücksichtige, nicht aber die Interessen derjenigen, die der Klasse nicht angehörten. Dies seien zum einen die Autoren verwaister Werke, denn deren Interesse könne nicht das der maximalen ökonomischen Ausbeute sein, da sie von dem Geld ohnehin nichts sähen. Zum anderen sei es die Leserschaft, die einen möglichst kostengünstigen Zugang wünsche. Im Rahmen des Drei-Stufen-Tests hätte der Gesetzgeber aber all diese Interessen durchaus berücksichtigen müssen. Man stehe nun also vor der Situation, dass ein Settlement als Ergebnis einer class action gegen den Drei-Stufen-Test verstoße.
Und dann findet Bernard Lang noch ein lustiges kleines Loch im Settlement: Wenn es schon fraglich sei, ob ein Verwerter im Namen eines Rechteinhabers, von dem er dazu nicht autorisiert worden sei (nämlich dem Autor eines verwaisten Werks) eine Nutzungsgebühr erheben könne, nur weil er im Rahmen eines Settlements als Ergebnis einer class action dazu berechtigt worden sei, so sei erst recht unklar, wie er die Durchsetzung dieser Gebühr forcieren wolle. Anders gesagt: Selbst wenn Autoren, Verleger und Google darin übereingekommen seien, dass sie zukünftig für den Zugang zu verwaisten Werken Geld verlangen wollten, hätten sie keine rechtliche Handhabe, unerlaubte Vervielfältigungen dieser Werke zu unterbinden. Denn eine strafrechtliche Verfolgung durch einen anderen als den Rechteinhaber komme nicht in Frage. Hierin sieht Lang auch die Gefahr einer nachhaltigen Image-Schädigung des Urheberrechts: Wenn sich erst einmal herumgesprochen habe, dass Google, Autoren und Verleger immer Geld haben wollten, das aber in der Hälfte, wenn nicht in zwei Dritteln aller Fälle (etwa so viele verwaiste Werke soll das Book Rights Registry enthalten) gar nicht bei den Autoren ankomme, wer solle dann überhaupt noch bereit sein, für Urheberrechte zu zahlen?
Man darf gespannt sein, wie sich die Diskussion um verwaiste Werke in Deutschland weiterentwickeln wird. In seinem Konsultationspapier zum “Dritten Korb” vom Februar 2009 fragt das Bundesjustizministerium die zur Stellungnahme aufgeforderten Institutionen explizit, was ihnen lieber wäre: ein Modell wie in Kanada oder eine Lösung über die VG Wort. Der Vorschlag des Urheberrechtsbündnisses scheint damit von vornherein vom Tisch zu sein, zumal beflisserene Akteure sich bereits geeinigt haben: „In Deutschland haben Börsenverein, Deutsche Nationalbibliothek, Deutscher Bibliotheksverband, DFG und VG Wort eine Vereinbarung über die Nutzung verwaister Werke getroffen. Diese sieht vor, dass die VG Wort anfragenden Bibliotheken die Online-Nutzung verwaister Werke lizenziert, wenn diese eine sorgfältige Recherche nach dem Rechteinhaber durchgeführt und dokumentiert haben. Die VG Wort stellt die Bibliotheken von eventuellen Schadensersatzforderungen der Rechteinhaber frei. Wir sehen hierin eine pragmatische Lösung, die eine gesetzliche Regelung nicht erforderlich macht. Zu prüfen wird sein, ob diese Lösung außer für Bibliotheken nicht auch für Verlage oder andere dritte Nutzer eröffnet werden sollte, die nach einer gewissenhaften Recherche verwaiste Werke verlegen wollen.“ So nachzulesen in der Stellungnahme des Börsenvereins zum Konsultationspapier vom Juni 2009.
1 Kommentar
1 Raner Kuhlen am 12. August, 2009 um 18:55
Vielen Dank für den sehr informativen Beitrag. Was die letzte Bemerkung angeht, dass der Vorschlag des Aktionsbündnisses vermutlich vom Tisch sei, sehe ich das natürlich anders, zumal der Artikel von Lang es gerade nahelegt, dass zur Regelung des Umgangs mit verwaisten Werken eine Schrankenregelung erforderlich sei und eine vertragliche Vereinbarung, auch wenn sie von solch gewichtigen Partner wie DFG und Nationalbibliothek mitgetragen wird, keineswgs ausreichend ist. Neben der im Beitrag referenzierten Position des Aktionsbündnisses s. auch die Antwort des Aktionsbündnisses auf die entsprechende Frage zu den verwaisten Werken im Katalog des BMJ (http://www.urheberrechtsbuendnis.de/docs/antwort-AB-aufBMJ-Fragebogen-PDF.pdf), S. 13ff.
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