Übersetzer misstrauisch gegenüber Google
Hinrich Schmidt-Henkel, 1. Vorsitzender des Literaturübersetzerverbands VdÜ, hat im „Börsenblatt des Deutschen Buchhandels“ für mehr Vertrauen zwischen Urhebern und Verwertern aufgerufen, die doch „gemeinsam an allen Verwertungsmöglichkeiten interessiert“ sein sollten. „Diese Gemeinsamkeit kann natürlich nur dort gelten“, schränkt Schmidt-Henkel ein, „wo der Verwerter […] die ihm übertragenen Rechte tatsächlich nutzen kann und auch nutzt (andernfalls muss gelten: use it or lose it).“ Die Einführung einer Klausel in den Verlagsverträgen, derzufolge ursprünglich eingeräumte Nutzungsrechte, etwa digitale Verwertungsrechte, an den Urheber zurückfallen sollen, wenn der Verlag sie nicht verwertet, gehört derzeit zu den zentralen Forderungen des Literaturübersetzerverbands.
Umso überraschender wirkt Schmidt-Henkels Kritik am Google Settlement, für ihn “ein bemerkenswerter Fall von funktionierender Kleptokratie und der Übernahme der Legislative durch die Wirtschaft“. Unter Autoren und Übersetzern scheint ausführlicher Medienberichterstattung zum Trotz noch immer eine große Verunsicherung über den in den USA abgeschlossenen gerichtlichen Vergleich zu herrschen, welcher derzeit einer letztinstanzlichen Genehmigung harrt. Was auch immer Schmidt-Henkel mit seinen zurückgerufenen digitalen Nutzungsrechten vorhat – er klingt nicht so, als wollte er sie „wirtschaftsdarwinistischen Verbreitern wie Google“ anvertrauen, „denen Rechte wie Rechteinhaber schnuppe sind“.
Stimmt das überhaupt?
Erinnern wir uns: Google hat in den USA Bücher gescannt, um sie für seine Volltextsuche zu verwenden. Eine Art der Nutzung, die in den USA unter „fair use“ falle, meinte Google: Der Urheber sei dadurch in der wirtschaftlichen Verwertung seines Werks nicht beeinträchtigt. Eine Volltextsuche sei etwas anderes als ein Raubdruck, und so lange die Bücher nur in Form digitaler Schnipsel (sogenannter „snippets“) zugänglich seien und nicht einmal ganze Absätze angezeigt würden, beeinträchtige das den Buchmarkt nicht. Die amerikanischen Autoren und Verleger sahen das anders und verklagten Google wegen Verletzung ihrer Urheberrechte. Google hätte gute Chancen gehabt, diesen Prozess zu gewinnen. Stattdessen machte die Firma den Autoren und Verlegern ein offenbar unwiderstehliches Angebot: ein umfassende Verwertung von deren Werken in verschiedenen Nutzungsarten: Textvorschau, E-Books, Abonnements für Bibliotheken und so weiter, das ganze Programm. Man einigte sich einvernehmlich auf das sogenannte Google Settlement.
Ein „bemerkenswerter Fall von funktionierender Kleptokratie und der Übernahme der Legislative durch die Wirtschaft“? Zugegeben, es war eine sogenannte „class action“, und insofern gilt die Einigung auch für alle Betroffenen, die nicht an der Klage beteiligt waren – jedoch nur, insofern ihre Rechte in den USA betroffen sind. Kann man wirklich als Urheber von einer Einigung betroffen sein, obwohl man nicht gefragt wurde? Nun, in den USA gibt es eben „class actions” – das Rechtssystem ist nicht überall gleich. Es gibt sie übrigens mit gutem Grund: Was hätte die individuelle Klage eines einzelnen Autors gegen Google schon ausrichten können? Und sollen sich die USA etwa nach dem deutschen Rechtssystem richten? Ein international einheitliches Urheberrecht gibt es ohnehin nicht.
Worin also besteht der Unterschied zwischen den Verlagen, die Schmidt-Henkel zufolge gewissermaßen mit den Urhebern an einem Strang ziehen, und den „Verbreitern“ wie Google, die „das notwendige Misstrauen“ der Autoren und Übersetzer verdient haben sollen? Zunächst einmal darin, dass Google den Rechteinhabern 63% von allen Erlösen zahlt, die die Firma mit einer bestimmten Art von wirtschaftlichen Nutzungen verdient, nämlich mit digitalen Nutzungen. Traditionelle Verlage zahlen Übersetzern bestenfalls (bei einer E-Book-Ausgabe) vielleicht 2% vom Nettoladenpreis, schlechtestenfalls gar nichts (für die Vorschau bei „libreka“, weil die als reines Werbemittel gilt, nicht als Erlösquelle). Freilich, von ihrem Grundhonorar und der Beteiligung am verkauften Exemplar (falls es eine gibt) können sie mehr schlecht als recht ihren Lebensunterhalt bestreiten, während bei der digitalen Nutzung kaum etwas rumkommt. Kaum etwas, aber doch mehr, als Übersetzer bislang mit digitalen Rechten verdient haben. Sicher gibt es Titel, bei denen es für Urheber sinnvoll sein kann, sie aus einem bestimmten Markt herauszuhalten (dem digitalen), um auf einem anderen (dem Printmarkt) mehr zu verdienen. Dann haben sie, wenigstens aus rein wirtschaftlicher Sicht, gute Gründe, Google die Nutzung zu untersagen. Die Firma legt ihnen weniger Steine in den Weg als so mancher Verlag, wenn sie aus den langen Listen der übertragenen Rechte im Vertrag auch nur einen Absatz streichen möchten.
Kurz, Google lässt durchaus “den Urheber am wirtschaftlichen Erfolg partizipieren“, ganz wie Schmidt-Henkel es sich wünscht: “nicht nur symbolisch”. Rein symbolisch ist bislang eher die Beteiligung der Übersetzer am verkauften Buch: In den gängigen Verlagsverträgen setzt sie häufig erst ab dem 30.000sten verkauften Exemplar ein.
Auf Verlegerseite steht man indes der Google Buchsuche längst nicht mehr so skeptisch gegenüber wie bei den Autoren und Übersetzern. Insbesondere die Konzernverlage sehen darin ein erfolgversprechendes Geschäftsmodell zur Erschließung neuer Märkte. Andere wollen sich die digitale Konkurrenz lieber vom Hals halten. Das ist legitim, aber es muss nicht unbedingt auch das Interesse von Urhebern sein, von Autoren und Übersetzern. Die müssen vielmehr zusehen, dass sie auf beiden Märkten, auf dem Printmarkt ebenso wie auf dem digitalen Markt, eine angemessene Vergütung für ihre Arbeit erzielen. Ob es ihnen dabei helfen wird, sich mit den einen Verwertern, den Verlagen, gegen andere, also gegen Google & Co., zu verbünden?
Disclaimer: Der Autor hat in den letzten Monaten den Literaturübersetzerverband VdÜ bei seiner Pressearbeit unterstützt. (Er leistet sich auch Differenz.)
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