„Aktionsbündnis Urheberrecht“ gegen VG Wort
Bereits am 25. Mai hatte Thomas Hoeren, Urheberrechtler am Institut für Medienrecht der Uni Münster, im beck-blog, dem Jura-Forum des Münchner C.H. Beck-Verlags, seinen Kollegen aus der Wissenschaft empfohlen, der soeben von einer Mitgliederversammlung der VG Wort beschlossenen Änderung des Wahrnehmungsvertrags mit der Verwertungsgesellschaft zu widersprechen.
Hintergrund ist der Streit um die Google-Buchsuche. Einem bereits im Januar 2009 von Börsenvereins-Justitiar Christian Sprang skizzierten Plan zufolge, der mit Beschluss der Mitgliederversammlung am 23. Mai 2009 umgesetzt wurde, soll die VG Wort im Namen ihrer Wahrnehmungsberechtigten (also der Autoren und Verlage, die mit ihr einen sog. „Wahrnehmungsvertrag“ abgeschlossen haben) von Google ein “Removal” aller bis zum 5. Mai 2009 digitalisierten deutschen Werke aus der Datenbank der Buchsuche verlangen.
Jetzt hat Hoeren Rückendeckung vom Aktionsbündnis Urheberrecht bekommen, das 2004 im Zusammenhang mit der Novellierung der Urheberrechtsgesetzgebung gegründet wurde. Das Bündnis, dem über 7.000 renommierte Wissenschaftler als Einzelpersonen und 365 wissenschaftliche Fachgesellschaften angehören, darunter Fraunhofer-Gesellschaft, Helmholtz-Gemeinschaft, Hochschulrektorenkonferenz und Max-Planck-Gesellschaft, moniert in einer heute veröffentlichten Erklärung, dass der geänderte Wahrnehmungsvertrag der VG Wort “die Interessen von Bildung und Wissenschaft nicht ausreichend berücksichtigt.“ In der Wissenschaft stehe „der geringe finanzielle Gewinn der Autorinnen und Autoren durch z.B. Pay-per-view-Modelle in keinem Verhältnis zu den individuellen und volkswirtschaftlichen Kosten durch das Fehlen eines freien (möglichst vollständigen) Zugangs zu den Werken“, heißt es in der Erklärung. „Solange die VG Wort sich nicht stärker für die Interessen von Bildung und Wissenschaft und dort für einen freien Zugang einsetzt, empfiehlt das Aktionsbündnis allen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, der jüngsten Änderung des Wahrnehmungsvertrags der VG Wort nicht zuzustimmen bzw. unter Umständen ihr auch explizit zu widersprechen.“
Anders gesagt: Dass die Werke der Wissenschaftler in der Google-Buchsuche angezeigt werden sollen, in Form von “Snippets” (Ausrissen), einer auszugsweisen Vorschau oder auch im Volltext, schreckt die Wissenschaftler gar nicht. Im Gegenteil, sie sehen darin einen Gewinn an Zugänglichkeit. In Zeiten, da die Bibliotheksbudgets zunehmend von den Abonnementpreisen für wissenschaftliche Zeitschriften aufgefressen werden, deren Preise große Konzernverlage wie Elsevier bestimmen, scheint das nicht ganz unbegreiflich.
Das Aktionsbündnis appelliert nun an die VG Wort, „sich bei den Verhandlungen mit Google damit zu begnügen, für Bildung und Wissenschaft die nicht-kommerzielle Nutzung“ der betroffenen Werke auszuhandeln. Und fährt harte Geschütze auf: „Sollte den Forderungen des Aktionsbündnisses an die VG Wort nicht entsprochen werden, müssen sicherlich Überlegungen angestellt werden, in welcher Form für Bildung und Wissenschaft eine eigene Interessenvertretung bezüglich der Nutzung wissenschaftlicher Werke nach den Prinzipien von Open Access aufgebaut werden kann.“ Man sei auch bereits mit Google im Gespräch, um zu einer Einigung „über eine freie Anzeige im Google Books Dienst“ zu gelangen, „aber nur unter der Voraussetzung, dass dadurch keine neuen kommerziellen Verwertungsmodelle entstehen.“
Freilich ist die Google Buchsuche selbst ein kommerzielles Verwertungsmodell, und dabei ist auch dem Aktionsbündnis nicht ganz wohl, weshalb Bund und Länder aufgefordert werden, „laufende Vorhaben wie die Europeana, die europäische digitale Bibliothek, oder auch die verschiedenen Vorhaben, die zu einer deutschen digitalen Bibliothek führen sollten, nachhaltiger zu befördern.“ Aber lieber Google als gar keine digitale Zugänglichkeit, scheint die Devise zu lauten.
Doch nicht nur das Aktionsbündnis grenzt sich von der VG Wort ab. Auch der C.H. Beck Verlag, einer der größten deutschen Wissenschaftsverlage, hat bereits signalisiert, dass ihm die VG Wort völlig schnuppe ist und er sich um seine digitalen Rechte lieber selbst kümmert. Die “Welt” zitiert einen Brief an die Autoren des Verlags, demzufolge der Verlag “unabhängig von den Plänen der VG Wort” die Rechte aus dem Google-Vergleich „für seine Autoren und für sich selbst wahrnehmen” wolle. Und auf einer Tagung der Akademie des Deutschen Buchhandels hat auch die Verlagsgruppe Holtzbrinck bereits angekündigt, man werde das Geschäft mit digitalen Rechten nicht aus der Hand geben.
Ganz anders hat sich der Verband Deutscher Schriftsteller positioniert: „Der VS-Vorstand empfiehlt: Die Änderungen im Wahrnehmungsvertrag akzeptieren“, wirbt der ver.di-Verband auf einer eigens zum Google Settlement eingerichteten Internetseite. Und wieder anders liest man es in der Zeitung: Kulturredakteur Hendrik Werner kritisiert in der “Welt” die „eher passive Verwertungsgesellschaft Wort“ und rät Autoren im Rahmen der für „Objections” gegen das Settlement vorgesehenen Frist bis zum 9. September „Widerspruch gegen den faulen Google-Kompromiss einzulegen” – schließlich werde man ja nun auch von Außenminister Steinmeier und Kulturminister Neumann unterstützt. Ja, was denn nun?
Sie sind Autor, und eines Ihrer Bücher ist vom Google Settlement betroffen, sprich vor dem 5. Mai 2009 von Google digitalisiert worden. Sie unternehmen nichts. Was passiert?
Nach Rechtsauffassung der VG Wort haben Sie ihr dadurch, dass Sie der Änderung des Wahrnehmungsvertrags nicht innerhalb von sechs Wochen widersprochen haben, das Recht übertragen, für Sie die Entfernung Ihres Buchs aus der Google Datenbank zu verlangen und die Entschädigung für die bisher erfolgte Nutzung zu kassieren. Da die VG Wort nicht weiß, ob Sie selbst Inhaber der amerikanischen Onlinedigitalisierungsrechte sind oder ob Sie dieses Recht dem Verlag übertragen haben, wird sie die Entschädigungszahlung gemäß eines Verteilungsplans aufteilen. Voraussichtlich erhalten Sie 60%, der Verlag 40%. Wenn Sie selbst Rechteinhaber sind, etwa weil Sie die Rechte nicht dem Verlag übertragen haben oder diese infolge eines Rechterückrufs an Sie zurückgefallen sind, sollten Sie der VG Wort dies mitteilen, damit Sie 100% der entsprechenden Ausschüttung erhalten. Die VG Wort wird dann allerdings von Ihnen verlangen, dass Sie eine Bestätigung des Verlags vorlegen. Machen Sie sich lieber keine Hoffnungen auf große Reichtümer. Insofern Ihr Buch aus der Datenbank entfernt wird und zukünftig keine weitere Nutzung stattfindet, springt für Sie sowieso nicht viel dabei heraus.
Was nun, wenn Sie sehr wohl eine digitale Nutzung wünschen? Wenn Sie also im Rahmen einer sog. „Exclusion“ am Settlement teilnehmen möchten, also beispielsweise eine Volltextsuche ermöglichen möchten, das Buch über Google zum Verkauf anbieten, eine eingeschränkte Vorschau konfigurieren etc.? Dann sind Sie mit der VG Wort schlecht bedient, denn die hat Ihr Buch ja bereits aus der Datenbank entfernen lassen. Können Sie es jetzt im Nachhinein wieder zugänglich machen? Nein, nicht ohne Weiteres. Die VG Wort hat erklärtermaßen vor, mit Google darüber zu verhandeln, ob ein Teil der Titel, für die im Rahmen des Settlements ein „Removal“ erklärt wurde, die also aus der Datenbank entfernt wurden, über das Partnerprogramm erneut zugänglich gemacht werden können. Aber wird das gelingen? Zunächst gibt es technische Bedenken: Das „Removal“, die Entfernung aus der Datenbank, muss zwar aus juristischer Sicht keine unmittelbare technische Konsequenz haben, Google selbst weist jedoch darauf hin, dass ein „entferntes“ Buch unter Umständen neu gescannt werden muss, um wieder für die Google Buchsuche verwertbar zu sein.
Zum anderen ist das Google Partnerprogramm nicht Teil des gerichtlichen Vergleichs. Das Google Settlement ist eine Abmachung, auf die Autoren, Verleger und Google sich geeinigt haben. Bis ins Detail ist hier festgelegt, welche Nutzung der Rechteinhaber Google zu welchen Konditionen erlaubt, in welchen Fällen eine zusätzliche Genehmigung für eine bestimmte Nutzungsart erforderlich ist und welche Verwaltungsoptionen der Urheber wahrnehmen kann. Für das Google Partnerprogramm hingegen gelten die einseitig von Google festgelegten „Allgemeinen Geschäftsbedingungen“, und ausdrücklich heißt es bei Google: „Beachten Sie bitte, dass wir unsere Richtlinien jederzeit ändern können und dass es entsprechend unseren Allgemeinen Geschäftsbedingungen in Ihrer Verantwortung liegt, sich hier über die aktuellen Programmrichtlinien zu informieren und diese einzuhalten.“ Aufhorchen lässt auch, dass man Google im Rahmen des Partnerprogramms allerlei explizit „nichtvergütungspflichtige“ Rechte einräumt – verdient wird hier lediglich an Anzeigen. Außer als Werbemittel für den traditionellen Buchverkauf scheint das Partnerprogramm eigentlich zu kaum etwas zu gebrauchen zu sein. Anders gesagt: Wirtschaftlich ist man als Autor mit einer Vergütung entsprechend der im Google Settlement getroffenen Abmachungen über zukünftige Nutzungen weit besser bedient als mit dem Partnerprogramm. Inwiefern es der VG Wort gelingen wird, mit Google eine vorteilhaftere Abmachung zu treffen, steht derzeit noch in den Sternen.
Folgt daraus aber tatsächlich, wie Thomas Hoeren und nun auch das Aktionsbündnis raten, dass man der Änderung des Wahrnehmungsvertrags durch die VG Wort widersprechen sollte, wenn man in Zukunft an der digitalen Nutzung der eigenen Werke verdienen möchte?
Auch das lässt sich so pauschal nicht sagen. Wer beispielsweise seine Ansprüche bereits unter www.googlebooksettlement.com angemeldet hat, sollte eigentlich keinen Grund zur Sorge haben: Man kann dieselben Ansprüche nicht einerseits selbst anmelden, andererseits die VG Wort mit ihrer Wahrnehmung beauftragen. Selbst wenn man der Änderung des Wahrnehmungsvertrags nicht widerspricht, müsste die Rechteinräumung folglich unwirksam sein, und das mit der Abwicklung der Zahlungen betraute Book Rights Registry müsste auf diesen Widerspruch aufmerksam werden. (Ob die Sache am Ende so heiß gegessen wird, wie sie gekocht wird, wird sich zeigen.)
Fraglich ist aber auch, ob eine Einwilligung in die Änderung des Wahrnehmungsvertrags durch Schweigen überhaupt rechtswirksam wäre. Der Bundesgerichtshof hat im Dezember 2008 in seinem Klingelton-Urteil ausgeführt, dass er eine Vertragsklausel, derzufolge Schweigen zu einer Vertragsänderung als Zustimmung gelten sollte, für unwirksam hält, weil sie „den Berechtigten […] entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt.“ Nicht zu befinden hatte der BGH in diesem Zusammenhang allerdings über die Frage, ob dies auch der Fall wäre, wenn im Wahrnehmungsvertrag (hier noch ohne die neuesten Änderungen) bereits eine Widerspruchsfrist vorgesehen war – und genau darauf beruft sich nun die VG Wort. In einem etwaigen Verfahren hätte sie nachzuweisen, dass sie die Wahrnehmungsberechtigten in ausreichend transparenter Weise über die wirtschaftlichen Konsequenzen des Nichtwiderspruchs unterrichtet hat.
Ohne juristische Gewähr hier eine praktische Empfehlung:
Autoren sollten zunächst prüfen, ob sie Inhaber der amerikanischen Onlinedigitalisierungsrechte sind. Dies können sie in ihren Verträgen nachsehen. Bei vor 1995 erschienenen und mittlerweile vergriffenen Büchern sind sie dies in der Regel durchaus. Dann sollten sie nachschauen, ob ihre Werke überhaupt betroffen sind, sprich, ob Bücher aus ihrer Feder vor dem 5. Mai von Google digitalisiert wurden oder nicht. Dies ist möglich, indem man sich unter www.googlebooksettlement.com registriert und den Anweisungen des Formulars folgt. Mit Hilfe der Suchmaske sucht man einen seiner eigenen Titel – da es sich um Titellisten verschiedener Bibliothekskataloge handelt, findet man fast immer einen – und meldet seinen Anspruch an. In vielen Fällen stößt man dabei unter „Status der Digitalisierung“ auf die Meldung: “Nicht digitalisiert; Digitalisierung wird ohne Autorisierung nicht am 05. Mai 2009 oder vorher erfolgen.“ Also Fehlanzeige.
Ist das Buch doch bereits digitalisiert, so ist es auch vom Google Settlement betroffen. Wenn man nun eine digitale Nutzung des Titels wünscht, kann man das Formular nutzen, um Google mitzuteilen, in welcher Art und Weise dies geschehen soll: ob etwa nur “Snippets” angezeigt werden sollen, ob ein Verkauf an Kunden möglich sein soll und zu welchem Preis, welche Teile des Buches für eine Vorschau freigegeben werden sollen und so weiter. Man nimmt dann im Rahmen einer „Exclusion” am Settlement teil und erhält zukünftig eine Erlösbeteiligung von Google. Wünscht man dies nicht, wählt man die „Entfernen“-Option. Man muss dann nur ein einziges Häkchen setzen. Auch in diesem Fall hat man indes seine Ansprüche angemeldet und wird von Google eine Entschädigung für die bisherige unerlaubte Nutzung erhalten.
Übrigens kann man die Sache gefahrlos ausprobieren, denn einen geltend gemachten Anspruch kann man über dasselbe Formular wieder zurückziehen. Wenn man möchte, kann man dann doch noch alles der VG Wort überlassen.
UPDATE 11.06.: Die VG Wort teilt auf Anfrage mit, dass die Lizenzbedingungen sowie die konkreten Nutzungsformen bei einer vom Rechteinhaber gewünschten Zugänglichmachung vergriffener Werke über das Google Partnerprogramm zu gegebenem Zeitpunkt mit Google ausgehandelt werden sollen. Diese erstrebte Einigung bräuchte sich also nicht notwendigerweise an den oben verlinkten Geschäftsbedingungen des Google Partnerprogramms zu orientieren.
3 Kommentare
1 Dr. Klaus Graf am 6. Juni, 2009 um 15:07
Hoeren hat sich in dem eingangs zitierten Beitrag ausdrücklich meiner Forderung angeschlossen:
http://archiv.twoday.net/stories/5720188/
2 Matthias Spielkamp am 7. Juni, 2009 um 08:56
Herr Graf, wie üblich, wissen Sie nicht nur alles besser als alle anderen – egal wie viele Facetten das Thema auch haben mag. Das sind wir gewohnt. Ebenfalls gewohnt sind wir es, dass Sie es nicht bei sachlicher Kritik belassen, sondern persönlich beleidigend werden. Nur wird das in diesem Blog nicht toleriert. Daher werden wir den Link zu Ihrem Text stehen lassen, denn eine inhaltliche Auseinandersetzung ist – wie immer bei uns – gewünscht. Der Rest ist gelöscht. Wenn Sie in Zukunft nicht an sich halten können, werden aber Ihre Beiträge vollständig gelöscht. Wenn Sie dann Zensur schreien, bitten wir Sie höflich, sich an diese Warnung zu erinnern. Mit freundlichem Gruß, Matthias Spielkamp
3 Dr. Klaus Graf am 7. Juni, 2009 um 14:18
Ich bin NICHT persönlich beleidigend geworden, sondern habe festgestellt, dass der Autor sich nicht in angemessener Weise mit meinem Anteil an der Diskussion auseinandergesetzt hat. Wie er die Autoren irreführt kann man auch unter http://archiv.twoday.net/stories/5743335/ nachlesen. Wenn inkompetente Autoren ein Thema “besetzen”, dann ist es offenbar eine persönliche Beleidigung, Medienkritik zu üben. Manches weiss ich in der Tat besser.
Was sagen Sie dazu?