VG Wort positioniert sich gegenüber Google
Die VG Wort hat auf ihrer Mitgliederversammlung am 23. Mai 2009 in München im Zusammenhang mit dem umstrittenen Google Book Settlement eine Änderung ihres Wahrnehmungsvertrags sowie ihres Inkasso-Auftrags für das Ausland beschlossen. Die Versammlung orientierte sich dabei im Wesentlichen an den bereits im Vorfeld veröffentlichten Entwürfen.
Die Änderungen des Wahrnehmungsvertrags sind gewissermaßen durch das Google Book Settlement inspiriert, beziehen sich aber auf den Umgang mit digitalen Rechten an sich. Zunächst ist in §1 Nr. 19 des Wahrnehmungsvertrags die Formulierung „sowie vergriffene Werke“ gestrichen und damit eine erst im Mai 2008 vorgenommene Änderung rückgängig gemacht worden. Daraus folgt, dass die VG Wort nicht mehr wie bisher das Recht hat, digitale Nutzungen solcher vergriffener Werke zu lizenzieren, für die der Urheber einen Rechteverlust im Zuge der Regelung des §137 UrhG erlitten hat. War ein Werk zu einem Zeitpunkt erschienen, zu dem digitale Verwertungen eine noch unbekannte Nutzungsart waren (wovon man bei Büchern in der Regel dann ausgeht, wenn sie vor etwa 1993 erschienen sind) und hatte der Rechteinhaber dem Verlag mit dem Hauptrecht auch sämtliche Nebenrechte räumlich, zeitlich und inhaltlich unbegrenzt übertragen, so konnte die VG Wort das Werk bislang aufgrund der vorgängigen Rechteeinräumung im Wahrnehmungsvertrags für eine digitale Nutzung lizenzieren, ohne den Autor vorher noch einmal zu fragen. In der Praxis ist dies wohl nicht vorgekommen, Ehmann/Fischer halten §1 Nr. 19 ohnehin für unwirksam.
Die Neuformulierung von §1 Nr. 25 ermöglicht der VG Wort nunmehr die Lizenzierung digitaler Nutzungen vergriffener Werke nur noch, wenn der Rechteinhaber vorher gefragt wird. Ausdrücklich ist auch festgeschrieben, dass die Einräumung dieses Rechts jederzeit widerrufen werden kann. Eine ungewöhnliche Praxis, beruht doch das Prinzip kollektiver Rechtewahrnehmung gerade darauf, dass der einzelne Rechteinhaber nicht die Möglichkeit hat, seine Werke der kollektiven Wahrnehmung zu entziehen und individuell zu lizenzieren. Offenkundig ist die VG Wort hier bemüht, einerseits den Konzernverlagen entgegenzukommen, die ihre digitalen Rechte lieber selber kontrollieren möchten, andererseits, es Autoren zu ermöglichen, ihre vom Google Settlement betroffenen vergriffenen Werke über die VG Wort für das Google Partnerprogramm freizugeben. Nicht möglich scheint es derzeit, das der VG Wort eingeräumte Recht zur digitalen Lizenzierung für einzelne Titel zu widerrufen, für andere nicht – der Wahrnehmungsvertrag als solcher betrifft grundsätzlich alle vom jeweiligen Autor geschaffenen Werke.
Die Erweiterung des Inkassoauftrags bezieht sich nunmehr auf den Umgang mit dem Google Settlement: Take the money and run, lautet hier die Devise. Die VG Wort will sich die Entschädigungszahlung für bis zum 5. Mai 2009 erfolgte Digitalisierungen auszahlen lassen und dann ein “removal” sämtlicher lieferbarer und vergriffener Werke verlangen. Damit geht dem Rechteinhaber die Möglichkeit der im Settlement ebenfalls vorgesehenen „exclusion“ verloren. Wer selbst bestimmen möchte, welche digitalen Nutzungen er genehmigen, welche er untersagen möchte, ist mit dieser Lösung also schlecht bedient. Ein Rechteinhaber, der direkt mit dem Book Rights Registry in Kontakt tritt, wird zukünftig beispielsweise über ein elektronisches System selbst bestimmen können, wie viel ein im Printing-on-Demand-Verfahren zugänglich gemachtes Buch den Leser kosten soll. Zugleich kann er, wenn er dies wünscht, die Volltextanzeige sehr weitgehend einschränken. Im Rahmen der Erweiterung des Inkassoauftrags der VG Wort wird hingegen das Buch komplett aus der Datenbank entfernt – ein individuelles Display-Management ist dann nicht mehr möglich.
Allerdings kann die VG Wort für verschiedene Publikationen in Sachen Google Settlement nach eigenen Angaben ohnehin nicht tätig werden: Was vor 1987 erschienene Beiträge (“Inserts”) in wissenschaftlichen Publikationen, aber auch Beiträge in belletristischen Werken angeht, muss der Autor/Rechteinhaber selber mit der Book Rights Registry in Kontakt treten, weil die VG Wort hier über die entsprechenden Daten nicht verfügt. Nachworte oder in Büchern veröffentlichte Einzelbeiträge, die der Autor der Abteilung Wissenschaft gemeldet hat, sind also von der “VG-Wort-Lösung“ nicht betroffen. Auch im Falle, dass es mehrere Rechteinhaber gibt, etwa Autor und Verlag, von denen einer der soeben beschlossenen Änderung des Wahrnehmungsvertrags innerhalb der dafür vorgesehenen Sechs-Wochen-Frist widerspricht, kann die VG Wort nicht tätig werden. „Die Einräumung der vorstehend genannten Rechte und die diesbezügliche Tätigkeit der VG Wort als Vertreter (Agent) stehen unter dem Vorbehalt, dass die Rechteeinräumung und die Bevollmächtigung durch alle an einem Werk beteiligten Wahrnehmungs- und Bezugsberechtigten (Urheber/Verleger) erfolgen”, heißt es deshalb explizit in der am 23. Mai beschlossenen Fassung der Änderung.
Möglicherweise kommen demnächst die großen Verlagsgruppen zu dem Schluss, dass sie ihre digitalen Rechte lieber selber verwalten und der Änderung des Wahrnehmungsvertrags widersprechen. Machen die großen Verlage vergriffene Werke dann auf eigene Faust digital über Google zugänglich, sollten Autoren auf der Hut sein. Ihnen steht dann unter Umständen eine Erlösbeteiligung zu – es sei denn, sie hätten einen Total-Buy-Out-Vertrag unterschrieben. Wie die Lage bei Übersetzungen aussieht, wo es grundsätzlich mehrere Rechteinhaber gibt, scheint noch gänzlich ungeklärt zu sein.
Ohnehin steht all dies noch unter dem Vorbehalt der gerichtlichen Genehmigung des Vergleichs in den USA. Und unter dem Vorbehalt, dass Google die VG Wort überhaupt als Verhandlungspartner akzeptiert. Dass eine Rechteeinräumung durch eine Änderung des Wahrnehmungsvertrags auf einer Mitgliederversammlung der VG Wort wirksam erfolgen kann, ohne dass der einzelne Wahrnehmungsberechtigte eine Unterschrift leistet, erscheint zumindest fragwürdig (vergl. Hoeren). Der Rechtsauffassung der VG Wort zufolge, müssen betroffene Autoren der Änderung des Wahrnehmungsvertrags innerhalb von sechs Wochen widersprechen, wenn sie mit ihr nicht einverstanden sind. Was aber, wenn ein Autor erst viel später davon erfährt und dann feststellt, dass die VG Wort für seine Titel bei Google ein “removal” verlangt und ihn dadurch um die Gewinnbeteiligung gebracht hat, die Google für die Nutzung zahlt? Er könnte dann Schadensersatzansprüche gegen die VG Wort geltend machen.
Dem überwältigenden Echo auf den Heidelberger Appell nach zu urteilen, ist dies allerdings kaum zu erwarten. Deutsche Autoren stehen einer wirtschaftlichen Nutzung ihrer Werke in den neuen Medien offenbar eher skeptisch gegenüber.
UPDATE 11.06.: Die VG Wort teilt auf Anfrage mit, es sei, anders als oben erläutert, durchaus beabsichtigt, eine Lizenzierung auch einzelner vergriffene Werke für digitale Nutzungen über ein noch einzurichtendes Onlineportal zu ermöglichen.
5 Kommentare
1 Philip Banse am 25. Mai, 2009 um 20:10
Schon lustig: Wer schweigt, stimmt zu – Prinzip Google bei der VG Wort.
2 Thomas Hoeren am 25. Mai, 2009 um 22:06
Siehe dazu auch
http://blog.beck.de/2009/05/25/vg-wort-und-goggle-widerspruch-gegen-aenderung-des-wahrnehmungsvertrags-einlegen#comment-17663
Was sagen Sie dazu?