Schutzfristverlängerung für Musikaufnahmen: Mehr Geld für tote Musiker?
Wissenschaftler aus mehreren EU-Staaten sprechen sich in einer gemeinsamen Presseerklärung gegen eine Schutzfristverlängerung für Musikaufnahmen aus. Sie warnen vor einer Zunahme der “Piraterie”, wenn das Urheberrecht Lobbyinteressen geopfert wird.
Am 23. März hat das EU-Parlament die Wahl. Die Parlamentarier können ihren Wählern einen Dienst erweisen — oder den vier großen Musikkonzernen. Am 23. März findet im Parlament die Abstimmung über eine EU-Richtlinie zur Verlängerung der urheberrechtlichen Schutzfrist für Musikaufnahmen statt. Auf Initiative des irischen Binnenmarktkommissars Charlie McCreevy soll die Schutzfrist von 50 auf 95 Jahre verlängert werden.
Wissenschaftler aus mehreren EU-Staaten warnen (PDF) zum wiederholten Mal davor, die Schutzfrist zu verlängern:
“Eine solche Verlängerung […] wird der europäischen Kultur und Wirtschaft schaden. […] Wenn Europa seine Innovationsfähigkeit behalten will, darf es nicht in einem Moment großer technologischer Umwälzungen die gegenwärtige Industriestruktur zementieren. Es darf die digitalen Schöpfer und Archive nicht an der Erforschung der Musik hindern, die ja schon längst bezahlt ist.”
Unabhängige Studien (PDF) haben wiederholt belegt, dass eine Schutzfristverlängerung zu Lasten der Allgemeinheit gehen würde. Profitieren würden davon praktisch ausschließlich die vier großen Musikkonzerne Universal Music, Sony/BMG, EMI und Warner Music. Diese haben seit Mitte des 20. Jahrhunderts die ganz überwiegende Mehrheit der Rechte an den weltweit gemachten Musikaufnahmen aufgekauft.
Die Wissenschaftler glauben, vielen Musikern ist nicht recht klar, was die Schutzfristverlängerung bedeutet. Profitieren werden überwiegend die Musikkonzerne und ein paar wenige, noch lebende Musiker. Zahlen müssen das Publikum und die heute aktiven Musiker. Die Tantiemen für die Aufnahmen der toten Musiker fließen hingegen zum größten Teil in die Tresore der Musikkonzerne.
Viele Musiker, die in den 40er, 50er und 60er Jahren Plattenaufnahmen gemacht haben, sind bereits verstorben. Manche sind sehr reich geworden, andere haben mit ihrer Musik keinen Cent verdient. Die Rechte an ihren Plattenaufnahmen, die bei Universal & Co. lagen oder liegen, sind überwiegend bereits abgelaufen, oder stehen kurz davor. Nach Ablauf der Schutzfrist darf im Prinzip darf jeder diese Plattenaufnahmen verwenden und verbreiten, gegebenenfalls gegen Zahlung von Urheberabgaben an eine Verwertungsgesellschaft. So wird mehr Musik zu günstigen Preisen verfügbar. Auch der Vertonung eigener Videos mit 50er-Jahre-Hits steht kein prinzipielles Hindernis mehr im Wege. Wird die Schutzfrist am 23. März verlängert, ist es mit dieser Freiheit vorbei.
Den Musikhörern wird das nicht egal sein, warnen die Wissenschaftler: “Das Publikum wird sich nicht für dumm verkaufen lassen. Wenn das Urheberrechtsgesetz zynischerweise seiner eigentlichen Bestimmung nicht mehr dient, wird Piraterie zu einer leichten Alternative.” Fast 16.000 Bürger haben bereits eine von Sound Copyright initiierte Online-Petition gegen die Schutzfristverlängerung unterzeichnet.
Die Schutzfristverlängerung für Musikaufnahmen wäre im Übrigen nur der Anfang. Der deutsche Kulturrat hat im September 2008 schon eine vergleichbare Verlängerung für Musikvideos gefordert. Dem haben sich die Filmschaffenden angeschlossen.
4 Kommentare
1 Robert A. Gehring am 13. März, 2009 um 11:44
Es handelt sich übrigens keineswegs um graue Theorie, wie man dem Spiegel-Online-Artikel “Elvis ist der profitabelste tote Promi” (30.10.2007) entnehmen kann:
Auch, wenn manche meinen, Elvis würde noch hier oder dort leben, hat er seit seinem offiziellen Tod kein neues Lied mehr geschrieben oder aufgenommen. Der Anreiz, den das Copyright bietet, scheint nicht so groß zu sein, daß er Tote kreativ werden ließe.
2 Robert A. Gehring am 15. März, 2009 um 09:52
In Schweden sind die Lizenzzahlungen an tote Musiker von 2.4 Prozent im Jahr 1995 auf satte 14.1 Prozent im Jahr 2006 gestiegen (englisch, PDF, via Open Rights Group).
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