USA machen Druck bei Verhandlungen über neues Anti-Piraterie-Abkommen ACTA
Im vergangenen Jahr haben die USA und Japan eine neue Initiative zur weiteren Verschärfung des Schutzes für Immaterialgüterrechte gestartet. Diese Woche finden in Genf hinter verschlossenen Türen Verhandlungen über ACTA zwischen den USA, Japan, der EU und einigen weiteren Staaten statt. Googles oberstem Urheberrechtsspezialisten, William Patry, wurden jetzt Informationen zugespielt, dass Gegenstand der Verhandlungen auch Zwangsfilter für Internet-Provider sein sollen.
Geheimverhandlungen in Genf
Vergangene Woche wurde Wikileaks ein „Diskussionspapier über ein mögliches Anti-Piraterie-Abkommen“ (Anti-Counterfeiting Trade Agreement, ACTA) zugeleitet, in dem Umfang und Ziel des geheim verhandelten Abkommens dargestellt werden. Das Papier stammt aus dem Hause des US-Handelsrepräsentanten und begründet den Bedarf an einem weiteren Abkommen zum Schutz „geistigen Eigentums“ mit der zunehmenden Verletzung von Rechten durch „Fälschungen und Piraterie“, die „eine wachsende Gefahr für die nachhaltige Entwicklung der Weltwirtschaft“ darstellen würde.
Durch Fälschungen und Piraterie würden „legal operierende Unternehmen und ihre Mitarbeiter um Einkommen gebracht“, „Innovation und Kreativität entmutigt“, „die Gesundheit und Sicherheit von Verbrauchern gefährdet“, „dem organisierten Verbrechen einen leicht zugängliche Einkommensquelle verschafft“ und schließlich „das Steueraufkommen vermindert“. In der ersten Verhandlungsrunde sind Gespräche zwischen der EU und den USA, Japan, Schweiz, Kanada, Südkorea, Mexiko und Neuseeland geplant.
Mehr Befugnisse für Strafverfolgungsbehörden
Zu den im Diskussionspapier erwähnten Maßnahmen gehören eine enge Zusammenarbeit zwischen den Unterzeichnerstaaten „einschließlich des Informationsaustausches und der Kooperation zwischen den Strafverfolgungsbehörden wie Zoll und anderen relevanten Einrichtungen“; eine verbesserte Praxis der Durchsetzung von Rechten „in Abstimmung mit Rechteinhabern und Handelspartnern“; ein „starker und moderner Rechtsrahmen, der den Strafverfolgungsbehörden, dem Rechtssystem und privaten Bürgern die modernsten Werkzeuge zur effektiven Bekämpfung von Fälschern und Piraten mit Hilfe der Justiz an die Hand gibt“.
Im vergangenen Oktober hatte die EU-Kommission ihre Absicht bekundet, an den Verhandlungen zu ACTA teilzunehmen, die außerhalb der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) und der Welthandelsorganisation (WTO) stattfinden. EU-Handelskommissar Peter Mandelson zufolge soll das geplante Abkommen gegen den Handel mit gefälschten Gütern „einen neuen globalen ‚Goldstandard‘ für die Durchsetzung von Immaterialgüterrechten…etablieren“.
Zu diesem Zwecke hatte die EU-Kommission Ende Oktober vergangenen Jahres die Mitgliedstaaten aufgefordert, ihr ein Verhandlungsmandat zu erteilen, was am 14. April dieses Jahr geschah. Die formalen Verhandlungen finden diese Woche in Genf statt. Die USA haben die Hoffnung ausgedrückt, dass ein Abschluss der Verhandlungen und die Unterzeichnung des Abkommens noch in diesem Jahr erfolgen könnten. Spekulationen, die Unterzeichnung könnte auf dem G8-Gipfel in Japan erfolgen, wurde von EU- und US-Seite zurückgewiesen, berichtete Intellectual Property Watch.
ACTA – ein Wahlgeschenk für den nächsten US-Präsidenten?
Besonders die Vertreter der USA bei den ACTA-Verhandlungen machen Druck, schnell zu einer Einigung zu kommen. William Patry, einer der angesehensten Urheberrechtsjuristen in den USA und Googles Chefberater in Urheberrechtsangelegenheiten, schreibt in seinem Blog die Eile dem Willen der Bush-Administration zu, das Abkommen noch vor den Präsidentenwahlen im November zu unterzeichnen. Der neue US-Präsident sähe sich dann im Dezember mit dem bindenden Ergebnis der Geheimsache ACTA konfrontiert.
Über den Inhalt der Verhandlungen und den Vertragstext ist bisher wenig bekannt. In den großen Medien wird darüber weltweit so gut wie gar nicht berichtet. Das von Wikileaks veröffentlichte Diskussionspapier dem Hause des US-Handelsrepräsentanten spricht von “Fälschungen und Piraterie”, die eine wachsende Gefahr für die nachhaltige Entwicklung der Weltwirtschaft” darstellen würden. Durch Fälschungen und Piraterie würden “legal operierende Unternehmen und ihre Mitarbeiter um Einkommen gebracht”, “Innovation und Kreativität entmutigt”, “die Gesundheit und Sicherheit von Verbrauchern gefährdet, “dem organisierten Verbrechen eine leicht zugängliche Einkommensquelle verschafft” und schließlich “das Steueraufkommen vermindert”, heißt es weiter.
EU und Lobbyisten sekundieren USA
In einer FAQ zu dem umstrittenen Abkommen hat die EU-Kommission ihre Motive im Oktober 2007 mit sehr ähnlichen Worten so erläutert: Die zunehmende Verbreitung der Verletzung geistiger Eigentumsrechte stellt eine wachsende Gefahr für die nachhaltige Entwicklung der Weltökonomie dar. Es ist ein Problem mit ernsten wirtschaftlichen und sozialen Folgen. Heutzutage sehen wir uns mit einer Reihe neuer Herausforderungen konfrontiert: eine Zunahme gefährlicher, gefälschter Waren (Arzneimittel, Lebensmittel, Kosmetika, Spielzeuge oder Autoteile); die Geschwindigkeit und Einfachheit der digitalen Reproduktion; die wachsende Bedeutung des Internets als Distributionsmedium; die Versiertheit und die Ressourcen international agierender Fälscher. Alle diese Faktoren haben das Problem verschärft und die Auseinandersetzung damit schwieriger gemacht.“ Die Antwort macht deutlich, dass im Rahmen von ACTA auch stärker gegen die Verbreitung nicht autorisierter Kopien urheberrechtlich geschützter Werke im Internet vorgegangen werden soll.
Die International Intellectual Property Alliance (IIPA), ein Verband von mehr als 1900 US-Unternehmen aus der Software-, Film-, Musik- und Verlagsbranche, hatte die Ankündigung der ACTA-Verhandlungen Ende 2007 wohlwollend zur Kenntnis genommen. Der IIPA-Vorsitzende Eric H. Smith äußerte in einer Pressemitteilung: „Die IIPA und ihre Mitglieder begrüßen die Führungsrolle der USA und Japans bei der Ausarbeitung eines Abkommens unter gleich gesinnten Staaten, die eine bessere praktische Durchsetzbarkeit von Immaterialgüterrechten anstreben. […] Die Urheberrechtsinhaber unter den IIPA-Mitgliedern begrüßen besonders den Schwerpunkt des Abkommens auf die Bekämpfung der Internet-Piraterie.“
Zwangsfilter bei Internet-Providern durch die Hintertür?
William Patry berichtet in seinem Blog, dass er „aus zuverlässigen Quellen, die voneinander unabhängig sind“, erfahren habe, dass der zuletzt diskutierte ACTA-Vertragsentwurf den Geltungsbereich des Abkommens „weiter ausdehnt statt ihn einzugrenzen“ und darin „von [ISP-]Filtern die Rede ist“. Auch würde der Entwurf viele „Streitpunkte von WCT/WPPT“ wieder aufgreifen, also der WIPO-Verträge zum Urheberrecht und zu verwandten Schutzrechten von 1996. Diese hatten den USA den Digital Millennium Copyright Act (DMCA) und den EU-Mitgliedstaaten die Urheberrechtsrichtlinie von 2001 beschert, in denen unter anderem das Umgehungsverbot für Kopierschutzmaßnahmen festgeschrieben wurde.
Patry kritisiert die geheime Verhandlungsweise und plädiert dafür, Offenheit zu schaffen: „Es gibt keinen Grund, warum ACTA nicht öffentlich gemacht werden sollte. Durch die Veröffentlichung würden fehlerhafte Beschreibungen seiner Absichten oder Bestimmungen leicht korrigiert werden können. Dass ACTA nicht veröffentlicht wird, sagt viel über die Absichten seiner Verfechter und [bestätigt] unsere schlimmsten Befürchtungen, was seinen Inhalt angeht.“
Ob das geplante Abkommen, so es denn zustande kommt, auch tatsächlich in der EU umgesetzt werden wird, ist eine offene Frage. Alle EU-Mitgliedstaaten müssten dem Abkommen zustimmen. Die Zustimmung kann keinesfalls als gesichert gelten, liegen die Positionen der Mitgliedstaaten in einzelnen Fragen des Schutzes für „geistiges Eigentum“ doch erheblich auseinander.
3 Kommentare
1 Robert A. Gehring am 10. August, 2008 um 08:04
Der im Posting erwähnte William Patry wirft das virtuelle Handtuch und schließt – nicht zuletzt aus Frustration über die Urheberrechtsentwicklung – sein Blog:
Die “Nachreden” in den Blog-Kommentaren sprechen Bände.
Was sagen Sie dazu?