Podiumsdiskussion über reales Recht für virtuelle Welten
Auf einer von der Friedrich-Ebert-Stiftung veranstalteten Podiumsdiskussion wurde gestern Abend in Berlin erfreulich unaufgeregt über den notwendigen und sinnvollen Rechtsrahmen für virtuelle Welten und Computerspiele debattiert.
Die Podiumsdiskussion im Berliner Hotel Ellington bildete den Abschluss einer ganztägigen Fachkonferenz zum Thema “Virtuelle Welten – Reales Recht für virtuelle Welten” (Programm als PDF). Das Podium war gut besetzt. Aus den USA war Viktor Mayer-Schönberger von der Harvard University angereist; aus demVereinigten Königreich, von der University of Essex kam Richard Bartle nach Berlin; Software-Riese Microsoft entsandte Dorothee Belz, Direktor Law and Corporate Affairs in die Runde; Monika Griefahn, SPD-Bundestagsabgeordnete vertrat die deutsche Politik und Anwalt Andreas Lober von der Frankfurter Kanzlei SchulteRiesenkampff steuerte Praxisnähe bei. Die Leitung der Diskussion oblag Wolfgang Schulz, Leiter des Hamburger Hans-Bredow-Instituts für Medienforschung.
Virtuelle Welten – „Noch kein Thema oder kein Thema mehr?“ fragte Wolfgang Schulz zu Beginn seines Resümees über die vorangegangene Tagung. Für sein Zwischenfazit zitierte er den Experten für Computerspiele und virtuelle Welten, Richard Bartle, mit den Worten „Virtuelle Welten sind Kunst und als solche sehr anders!“ Als gemeinsamen Nenner der Fachtagungsbeiträge arbeitete Schulz einerseits die Auffassung heraus, dass virtuelle Welten wie Second Life & Co. in Zukunft eine immer größere Rolle spielen werden, auch wenn sie wahrscheinlich anders aussehen werden. Andererseits herrschten zwischen den Fachleuten größere Meinungsunterschiede im Hinblick darauf, wie stark sich der Staat regulierend in solche virtuellen Welten einmischen sollte.
Viktor Mayer-Schönberger unterstrich im Anschluss noch einmal die Bedeutung virtueller Welten. Diese „sind die Zukunft menschlicher Kommunikation und des wirtschaftlichen Austauschs“. Die heute existierenden virtuellen Welten seien dabei das „Experimentierfeld für die Zukunft“ uns sollten nicht nur nach ihren wirtschaftlichen Stärken oder Schwächen beurteilt werden. Im Hinblick auf die Regulierungsdiskussion sparte Mayer-Schönberger nicht mit Kritik an den Kontinentaleuropäern. Die Tatsache, dass die in Europa erfolgreichen virtuellen Welten von Unternehmen in den USA oder Großbritannien betrieben werden, sei nicht zuletzt der komplizierten juristischen Situation geschuldet. Dadurch verlöre Europa an Einfluss auf die tatsächliche Entwicklung und „greift der Amerikanisierung der Kommunikation unter die Arme“. Die Europäer stünden vor der Herausforderung virtuelle Welten nicht einfach nach alten Vorstellungen zu regulieren sondern müssten „einen Regulationsrahmen schaffen, der Innovationen fördert“.
Dorothee Belz von Microsoft stimmte Mayer-Schönberger zu und unterstrich dessen Kritik mit einem Verweis auf die komplexe Rechtslage in Deutschland. Da Microsoft sich außerstand sieht, die vom Gesetz geforderte Überwachungsschnittstelle zu realisieren, verzichtet das Unternehmen hier zu Lande auf die Integration von Voice-over-IP in den Messenger. In allen anderen Ländern werde derMessenger hingegen künftig mit der Möglichkeit zur Internet-Telefonie ausgerüstet.
Die Bedeutung virtueller Welten beurteilte Belz zurückhaltend. Diese hätten eine zu geringe Umsatzentwicklung, um ein stärkeres Engagement des Unternehmens zu rechtfertigen. Der Online-Werbemarkt sei wesentlich attraktiver. An den Gesetzgeber gewandt warnte Belz vor einer juristischen Überregulierung von virtuellen Welten und Computerspielen. Wo bestimmte Schutzmaßnahmen für Kinder und Jugendliche noch durchaus zu rechtfertigen seien, wäre eine Bevormundung von Erwachsenen überflüssig und innovationsfeindlich. Die vorhandenen Bestimmungen zum Jugendschutz seien nach Belz Einschätzung völlig ausreichend. Eltern und Kinder müssten allerdings besser über Gefahren und technische Möglichkeiten zum Umgang damit aufgeklärt werden. Es gälte, die Medienkompetenz zu stärken.
Dieser Forderung schloss sich Monika Griefahn an. Auch sie machte keinen großen Regulierungsbedarf sondern ein Aufklärungs- und Vollzugsdefizit für bestehende Regularien aus. Klar sei aber, dass bestehende Regeln auch in virtuellen Welten durchgesetzt werden müssten. Virtueller Sex mit virtuellen Minderjährigen sei kein Spiel, so Griefahn, sondern nach geltendem Recht Kinderpornographie und als solche zu Recht eine Straftat.
In der Diskussion um das Für und Wider von Computerspielen sprach sich Griefahn dafür aus, Computerspiele als Teil der Kultur anzuerkennen, statt überwiegend über Killerspiele zu streiten. Wichtig sei ihrer Meinung nach, Computerspiele deutlicher als bisher zu kennzeichnen und dem Problem der Online-Sucht mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Diese solle von der WHO als Krankheit anerkannt werden, um die man sich durch entsprechende Beratungsangebote kümmern müsse. Griefahn stellte die Zahl von 1,6-1,9 Millionen Online-Süchtigen in den Raum.
„Viel gelassener“ müsse man virtuelle Welten und Computerspiele betrachten, mahnte Richard Bartle an. Für die Diskrepanz zwischen den Positionen der Nutzer virtueller Welten und den regulatorischen Vorstößen der Gesetzgeber machte Bartle den mangelnden politischen Einfluss der Nutzer verantwortlich. Der Politik hielt Bartle Ahnungslosigkeit vor. Um die virtuellen Welten und Online-Spiele wirklich einschätzen zu können, müsste man viel Zeit damit verbringen. Nur so könne es gelingen, die ihre Regeln zu verstehen. Politiker würden stattdessen ohne Verständnis für die Materie darüber diskutieren und versuchen, zu regulieren. Dabei führten sie einen „verlorenen Kampf“ gegen die Computerspiele. Diese seien bereits so fest in der Jugendkultur verankert, dass binnen weniger Jahre die dann führenden Köpfe der Gesellschaft alle mit ihnen groß geworden sein werden. Das Unverständnis der heute herrschenden Politiker würde mit ihnen aussterben, meinte Bartle nicht ohne eine gute Portion britischen Humors.
Als Kriterium für einen etwaigen Regulierungsbedarf schlug Bartle vor, die Auswirkungen der virtuellen Welten und Online-Spiele auf die Gesellschaft heranzuziehen. Wo sich ein „Effekt auf die gesamte Gesellschaft“ feststellen ließe, könnte Regulationsbedarf bestehen. Wo hingegen Auswirkungen lediglich auf die Nutzer beschränkt seien, bestünde praktisch kein Regulierungsbedarf. Wenn den Nutzern die Regeln nicht passten, stünde es ihnen ja frei, sich aus der virtuellen Welt oder dem Online-Spiel zu verabschieden. Während er Computerspiele als allgemein gefahrlos einschätzte, gab Bartle aber auch zu, dass Kinder und Jugendliche vor gewissen Gefahren zu schützen seien.
Praktiker Andreas Lober, der unter anderem Spieleentwickler juristisch berät, machte sich für eine differenzierte Betrachtung virtueller Welten stark. Solche für Kinder seien klar von denen zu trennen, die sich an Erwachsene richten, nicht zuletzt, weil sie wirtschaftlich bereits heute enorm erfolgreich seien. Überhaupt würde die immense wirtschaftliche Bedeutung der Spieleindustrie von der Politik noch nicht erkannt. Zu Recht verwies Lober darauf, dass die Spielebranche in Deutschland bereits mehr Umsatz mache als die Tonträgerindustrie und im Gegensatz zu dieser von Jahr zu Jahr erkleckliche Umsatzzuwächse verzeichnen könne. Deutlich sprach sich Lober gegen spezielle Gesetze für virtuelle Welten und Computerspiele aus. Weniger spezielle Gesetze seien deutlich „haltbarer“ und Sonderregelungen oft schon von der technischen Entwicklung überholt, bevor sie überhaupt Gültigkeit erlangten.
Die Debatte konzentrierte sich sodann auf die Frage, wie Betreiber von virtuellen Welten und Online-Spiele-Plattformen mit Rechtsverstößen der Nutzer umgehen sollten. Das von deutschen Gerichten bevorzugte Modell der Betreiberhaftung mit einer Prüfpflicht empfanden die Fachleute als wenig praktikabel und innovationsfeindlich. Man müsse sich nur klarmachen, so Lober, dass im Grunde fast alle im Strafgesetzbuch aufgeführten Straftaten prinzipiell auch online begangen werden könnten. Welcher Betreiber, so Lober weiter, würde aber über die Kompetenz verfügen, alle Handlungen aller Nutzer auf ihre Strafbarkeit hin zu prüfen? Bei global agierenden Plattformen würde sich das Problem noch dazu in verschärfter Form stellen, da ja auch nationale Unterschiede im Recht berücksichtigt werden müssten. Es sei für die Betreiber schlichtweg nicht möglich, von sich aus für die Einhaltung aller gesetzlichen Bestimmungen zu sorgen. Insofern sei die in den USA praktizierte Vorgehensweise des „notice and take-down“, also der Reaktion des Plattformbetreibers nachdem er über einen mutmaßlichen Rechtsverstoß informiert wurde, vorziehen. Das gelte zwar nicht in jedem Fall, aber im Allgemeinen, so Lober.
Dem stimmten Belz, Bartle und Mayer-Schönberger im Kern zu. Belz warnte allerdings davor, dass ein „notice and take-down“-Ansatz nicht völlig problemlos sei, da ein privates Unternehmen anders als der Staat kein rechtsstaatliches Verfahren garantieren könne. Bartle wies ergänzend darauf hin, dass das „notice and take-down“-Verfahren auch als „Waffe“ gegen unliebsame Nutzer missbraucht werden kann, wie die Praxis gezeigt hat. Mayer-Schönberger warnte zudem vor einer „Napsterisierung“ von virtuellen Welten und Computerspielen, sollten die Nutzer die praktizierte Regulierung ablehnen. Dann gebe es in Zukunft keine zentralen Server mehr, sondern virtuelle Welten und Computerspiele auf Peer-to-Peer-Basis, die weniger Angriffsfläche bieten würden.
Von Monika Griefahn gefragt, was der deutsche Gesetzgeber machen könne, um die Rahmenbedingungen für die Plattformen in Deutschland zu verbessern, schlugen die Diskutanten vor, das deutsche Recht zu entbürokratisieren, auf absurde Bestimmungen wie „Sendezeitbeschränkungen für Online-Spiele“ zu verzichten und allgemein etwas mehr Laissez-faire-Attitüde an den Tag zu legen. Einer vorauseilenden Regulierungswut erteilten die Podiumsteilnehmer unisono eine Absage.
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