Microsoft will Schülern “geistiges Eigentum” beibringen (und braucht selbst Nachhilfe)
Microsoft, der Betriebssystem-Monopolist aus Redmond im US-Bundesstaat Washington, der bekanntlich immer mal wieder Probleme mit den EU-Wettbewerbshütern (via Heise online) hat, stellt im Internet unter dem Motto „Sicherheit macht Schule“ seit dem vergangenen Jahr Lehrmaterialien für deutschsprachige Schüler bereit. Bisher gibt es zwei Schwerpunkte: “Jugendmedienschutz” und – wer hätte das vermutet – „geistiges Eigentum“.
Letzterer Schwerpunkt ist noch ganz frisch, heute freigeschaltet, mit Grußwort der Bundesjustizministerin Brigitte Zypries. Hier die etwas verkürzte Fassung:
„Deutschland ist ein Land ohne Bodenschätze…Ich unterstütze daher alle Anstrengungen, schon in den Schulen für mehr Verständnis und Respekt für das geistige Eigentum zu werben.“ (Die Langfassung gibt es hier.)
Microsoft hat anläßlich des “Welttags des geistigen Eigentums” eine ganze Pressemappe veröffentlich, in dem unter anderm auch das neue Lehrmaterial angekündigt wird:
Mit “Originale setzen Zeichen” will Microsoft Schülern ab 12 Jahren die Bedeutung und den Wert von geistigem Eigentum vermitteln. Dafür stellt der Softwarehersteller Lehrern auf www.sicherheit-macht-schule.de online abrufbare Unterrichtsmaterialien für die Schulfächer Geschichte, Sozialkunde, Wirtschaft, Mathematik, Deutsch, Kunst, Naturwissenschaften und Informatik zur Verfügung, die auf die Lehrpläne der Bundesländer abgestimmt sind. Das Thema “Geistiges Eigentum” wird dabei aus den Blickwinkeln Historie, Wirtschaft, Gesellschaft und individuell geschaffene Werke beleuchtet. Ziel ist es, die Schüler zur kreativen Auseinandersetzung mit immateriellen Werken zu animieren. Die Lehrmaterialien beinhalten zum Beispiel Module, um in der Mathematikstunde Daten zum Urheberrecht statistisch darzustellen oder im Deutschunterricht einen Aufsatz zu verfassen und diesen anschließend im Internet zu veröffentlichen. Die Schüler identifizieren sich dadurch stark mit dem Produkt ihrer eigenen kreativen Ideen, was das Verständnis für den ideellen und wirtschaftlichen Wert eines Originals fördert.
Ein erster Blick auf die von Microsoft entwickelten Unterrichtsmaterialien zum geistigen Eigentum – Motto: Originale setzen Zeichen – offenbart vier „Dimensionen“:
- Die historische Dimension (Klasse 7-8)
- Die wirtschaftliche Dimension (Klasse 9-10 bzw. 11-13)
- Die gesellschaftliche Dimension (Klasse 5-6 bzw. 9-10)
- Die persönliche Dimension (Klasse 11-13)
Auf den ersten Blick sieht das ja nicht schlecht aus. Auf den zweiten und dritten Blick allerdings nicht mehr so gut. So besteht etwa die „historische Dimension“ aus den Unterpunkten „Weltbekannte Unikate“ und „Berühmte Fälschung“.
Sehen wir uns den letzten Punkt mal etwas genauer an. Los geht es mit dem Urheberrecht:
„Unser Urheberrecht schützt das Werk vor Verfälschung, zugleich wird aber auch die Glaubwürdigkeit des Urhebers überprüfbar. Die gezielte Fälschung zum Beispiel von Zeitzeugnissen ist im Printmedium als solche identifizierbar – und gesellschaftlich geächtet.“
Hm, so ganz einleuchtend ist das nicht, oder? Aber zum „Urheberrecht“ gibt es ja bei aktiviertem JavaScript eine Erklärung:
„Das persönliche Verfügungsrecht des Schöpfers eines Werks u. a. der Literatur, Musik, Kunst, Fotografie (geistiges Eigentum). Der zu schützende Gegenstand ist das Werk selbst. Der Schutzanspruch entsteht mit Vollendung des Werks durch den Schöpfer. Software zählt in Deutschland seit Juni 1993 zu geschützten ,geistigen’ Werken (§ 69a, Abs. 3, UrhG).“
Kommt mir das nicht irgendwie bekannt vor? Eine Scroogle-Suche liefert die Antwort. Ich habe mich nicht geirrt, das habe ich schon einmal anderswo gelesen, genauer gesagt im Schulungsmaterial „Copyrights im digitalen Zeitalter“ vom Zeitbild-Verlag, Autor: Knud Jansen.
Wie hat sich nun diese Definition ohne Quellenhinweis in das Microsoft-Schulungsmaterial verirrt? Hoffentlich hat Microsoft sich dafür eine Genehmigung geben lassen. Andernfalls wäre es ja…ähm…„Piraterie“, auch als „Diebstahl geistigen Eigentums“ oder “Urheberrechtsverletzung” bekannt, nicht wahr?
Aber das wird schon alles seine Richtigkeit haben, Microsoft wird die Genehmigung eingeholt haben. Schließlich scheint man beim Zeitbild-Verlag großer Microsoft-Fan zu sein. Im Schulungsmaterial gibt es auf Seite 29 ein Kreuzworträtsel, in dem man zum Beispiel folgende spannenden Fragen beantworten muß:
- “Wie nennt man das Echtheitszertifikat, das zu jedem Originalprodukt von Microsoft gehört? (Abkürzung)”
- “Darf ich die Kopie meines originalen Microsoft-Excel-Programms an einen Freund verschenken?”
- “Der Gründer der Firma Microsoft.”
Wer es nicht glaubt, überzeuge sich selbst…
Aber zurück zum Schulungsmaterial von Microsoft. Es fing an mit: „Unser Urheberrecht schützt das Werk…“ Weiter geht es dann mit einer „Unterrichtsidee“, die „in fünf Phasen umgesetzt“ wird. Los geht es mit
“Phase 1: Rechercheübung
Die Schülerinnen und Schüler recherchieren online zur Frage: Wodurch wurden 1983 die „Hitlertagebücher“ des Konrad Kujau als Fälschung entlarvt?”
Sicher eine spannende Rechercheübung.
Allerdings: Was hat das mit dem Urheberrecht zu tun? Kujau hat die Texte selbst verfaßt, ist also ihr Urheber. Falsch war lediglich die Zuschreibung der Urheberschaft an Adolf Hitler. Da Kujau diese falsche Zuschreibung selbst vorgenommen hat, stellt das keinen Verstoß gegen das Urheberrecht dar. Konsequenterweise wurde Kujau auch nicht wegen Urheberrechtsverletzung sondern wegen Betruges verurteilt, weil der dem Stern die Tagebücher ja fälschlich als von Hitler stammend untergejubelt hatte.
Auch „Phase“ 4 kann nicht wirklich überzeugen:
„Die Schülerinnen und Schüler recherchieren und dokumentieren moderne Fälle von Fälschungen in der Welt digitaler Medien wie zum Beispiel: kopierte Originalsoftware mit gefälschten Markenzeichen, digital manipulierte Fotos, eingeschleuste Trojaner, Downloads mit Nebenwirkungen, falsche Rechnungen und Internetauftritte. Zu jedem Fall werden Kurznachrichten für die spätere Veröffentlichung erstellt.“
Mit dem Urheberrecht hat das alles wenig zu tun. Noch nicht einmal die Sache mit der Software ist klar. Ein gefälschtes Markenzeichen stellt einen Verstoß gegen das Markenrecht dar, nicht gegen das Urheberrecht. Auch bei der „kopierten Originalsoftware“ muß nicht zwingend ein Urheberrechtsverstoß vorliegen, schließlich könnte es sich ja um Original-Open-Source-Software handeln, die man kopieren darf.
Weitere Blicke in das Lehrmaterial lassen die Zweifel nur noch wachsen.
Meine persönliche Meinung: Microsoft braucht dringend Nachhilfe in Urheberrechtsfragen und Lehrer suchen sich hoffentlich besseres Unterrichtsmaterial.
Tips: Das Online-Dossier zum Urheberrecht, das iRights.info für die Bundeszentrale für politische Bildung entwickelt hat und das iRights.info-Buch “Urheberrecht im Alltag”, für 2,- EUR ebenfalls bei der BpB zu beziehen.
7 Kommentare
1 Robert A. Gehring am 30. April, 2008 um 16:55
Inzwischen hat Microsoft nachgebessert und unter dem Glossar einen Quellenhinweis angebracht.
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