Beijing 24022008
Es war keine gute Woche in Beijing – die ersten Tage mit extremem Smog kamen über die Stadt, abends roch es, bei schwer eingeschränkter Sicht, nach faulen Eiern, der Geruch ging nicht mehr von der Zunge runter.
China Daily, vor allem beschäftigt mit den guten Seiten der chinesischen Darfur – Politik und der Maxime der Nichteinmischung im Kosovo, sieht sich im eigenen Land einem unangenehmen Rechtfertigungsdruck ausgesetzt. Werden die USA eigenes Essen ins olympische Dorf einfliegen, die Briten gar die Olympischen Spiele boykottieren? Diese Drohungen von aussen scheinen der hiesigen Bevölkerung schwer vermittelbar zu sein, weil sich das Land zum einen nicht völkisch definiert, nicht in Sippenhaft genommen werden will. Natürlich ist die Luft dreckig, sind die olympischen Spiele politisch, aber das hat dann etwas mit der Regierung zu tun, nicht mit den Sportfans hier, ein zugegebenermasssen etwas kurz greifendes Argument.
Zum anderen verfolgt China seit der Mao-Zeit eine eigene Afrika – Politik, die den Westen rasend zu machen scheint – Nichteinmischung und konkrete Wirtschaftsabkommen, meist Infrastruktur gegen Rohstoffe, no questions asked. Und man wundere sich, auch das steht in der Zeitung, über die Hybris des kolonialen Westens, mit Vokabeln wie Demokratie und Menschenrechten Exportgeschäfte machen zu wollen, oder China einzuschüchtern. Die schlechte Luft ist ein direktes Resultat der Herstellungsbedingungen für die billigen Sachen, mit denen der Westen seine Profite generiert.
Die Anti-Riot-Einheiten für die Olympiade werden von israelischen Polizisten ausgebildet, they are the best. Das Problem ist die Internationalisierung des Handels, dessen Ethik traditionell westlichen Wertevorstellungen entspricht. Diese sind, darauf habe ich schon mit Max Weber hingewiesen, hier nicht zu vermitteln. Damit sind wir wieder bei der stoischen Resistenz und Gleichmut hier, damit sind wir beim Copyright.
State Intellectual Property Organisation
Ich war diese Woche vor allem hinter einem Interview mit dem Chef der SIPO her. Die State Intellectual Property Organisation kümmert sich mit grossem Aufwand um chinesisches Patentrecht und um die Durchsetzung des Forderungskatalogs der WTO, der die Volksrepublik China 2001 beigetreten ist. Nach mehrfachen Telefonaten mit seiner deutsch sprechenden Sekretärin stellte sich aber heraus, dass Tino Lipu, jetzt schon im Rang eines Ministers, bis Mitte März zum Superminister befördert werden wird, dann allerdings sei ein Telefoninterview möglich, vorher müsse er noch zum Patentamt nach München. Überhaupt sei der Druck aus Deutschland und den USA immens, Herr Lipu, auch er fliessend in deutsch und englisch, muesse den Westen beruhigen, spektakuläre Fälle in die westlichen Medien bringen. Ein Focus-Interview, es habe keinen Zweck, er mache es trotzdem. Diese Aufgabe hat offenbar nur mit der Außenwahrnehmung Chinas zu tun, er werde immer falsch zitiert, die Interviews werden nicht zurückgeschickt, es sei eine Sisyphosarbeit, die Frau tut mir leid. Ich solle doch bitte schonmal Fragen schicken.
Wang Hui hingegen, Professor and der Tsinghua Universität und scharfer Analytiker chinesischer Verhältnisse, sieht einen direkten Zusammenhang zwischen dem Aufwand, der hier um die Durchsetzung der WTO copyright – Regeln für die westliche Wahrnehmung betrieben wird und dem nicht vorhandenen Arbeitsschutz in den Sweatshops. Denn dort werden die Nikes und Adidas hergestellt, für 1-2 Euro, die dann hier im Laden und bei uns 100 Euro und mehr kosten. Je mehr Kopien vom Markt verschwinden, so sein Argument, desto größer die Profite, Ruhe kehre ein bei den internationalen Konzernen und ihren Regierungen, die Aufmerksamkeit in den Medien verschwinde. Das schade den ArbeiterInnen direkt, weil sich ohne Druck nie etwas an ihrer Ausbeutung ändern werde.
One World One Shopping Paradise
Ein Abend bei einem österreichischen Künstler am Stadtrand von Beijing, das vom österreichischen Staat angemietete Studio in einer illegal gebauten Siedlung. Dort im Dorf ist alles in Kopie zu haben, was zur merkwürdigen Beobachtung führt: Je weiter man sich aus der Stadt bewegt, desto ärmer aber auch markenbewusster werden die Leute. Ist das die Zukunft der Marken?
Mehrere SMS werden mit einem Journalisten gewechselt, im Hintergrund läuft Wolfgang Ambros, er will uns seinen Namen nicht sagen, ja, Konterfeis gebe es im großen Stil nur noch in einem Markt in Beijing.
Am nächsten Tag, der Markt, ein riesiges Gebäude und tausend Stände, draussen steht, in Abwandlung des Olympiaspruchs One World One Shopping Paradise, es ist ein Gefeilsche, Gebrülle, Gezerre – Perlen, Uhren, Jacken, Shirts, nirgendwo die teuren Taschen. Im Untergeschoss Verkäuferinnen mit Bilderkatalogen, Taschen von Vuitton, Gucci, Chanel. Ich gehe zu einem jungen Chinesen in den winzigen Verkaufsstand, wir kommen ins Gespräch. Im Katalog, sagt er, nur die Taschen der drei Firmen, weil nur danach die Polizei suche, die ab und zu ins Untergeschoss kommen, inzwischen auch in Zivil. Dann schnell die Kataloge weg, das wars. Kleine Accessoires besagter Firmen haben sie alle in abschliessbaren Schubladen, er schließt eine auf, stimmt. Wer erwischt wird muss 5000 Euro zahlen. Ich lasse mir einige Vuitton – Taschen zeigen. Eine junge Frau bringt sie Minuten später in undurchsichtigen Plastikbeuteln. Die Ware kommt aus einem Stockwerk tiefer, alle Händler bekommen dieselbe Ware aus derselben Fabrik, fotografieren verboten, da werden sie böse. Made in France, ja, ich sehe, es sieht vermutlich alles echt aus, der Händler beruhigt mich, es gebe keine Probleme beim Zoll, jetzt müsste das Handeln losgehen, ein Fünftel des Anfangspreises muss das Ziel sein, wer am besten handle? Die chinesischen Kunden natürlich! Draussen Touristen, natürlich aus Deutschland und den USA, mit riesigen schwarzen Müllbeuteln beim Einsteigen in die Taxis, es hat nichts mit Moral zu tun, das stimmt!
Zu Hause dann, beim Überspielen einiger Fotos auf meinen Rechner ein merkwürdiges Geräusch, nichts geht mehr, der Test sagt unmissverständlich Hardwareproblem, die Festplatte ist beschädigt. Die Rechner kommen alles aus China, aber ein neuer ist so teuer wie in Deutschland, es ist wie mit Adidas und Nike, aber es ist nicht so wie bei Chanel und Co., Made in Europe, da scheint der Spass aufzuhören. IPhones, IPods und Vertus Telefone, am Tag vorher das Diamantbestückte noch in der Hyatt Hotelmall für 50.000 Euro gesehen, gibts hier für 200 Euro Anfangspreis, jetzt müßte das Feilschen beginnen.
Wer in China arbeiten läßt muss sich nicht wundern, das ist die Moral der Geschichte. Und ich sprach nicht von digitalen Kopien. Daran traut sich hier zurecht niemand.
life is life
IRights.info hat das Foto zu meinem letzten Blog ohne Rücksprache entfernt, weil es eine Copyrightverletzung darstelle. Verstehe, das wars dann wohl mit Fotos. Denn: was ist der Unterschied zwischen einem Richard Prince Foto und meinem Bildschirmfoto einer Google – Fotosuche? Genau: er verkauft sie sehr teuer, ich nicht.
life is life, wie es gestern abend noch in einer riesigen russischen Luxusbar aus den Lautsprechern hämmerte, österreichische Kultur als kleinster gemeinsamer Nenner weltweit, es sah aus wie auf einem Kreuzfahrschiff, ein Mafialaden mit alten Kerlen und blonden Ladies mitten im Beijinger Pelzhandelsviertel hat seine Hymne gefunden, mehr Moral hat kein Geschäft.
Was sagen Sie dazu?