BEIJING 16022008
Sie fahren überall hin und schauen sich alles an und machen es dann zu Hause nach und verkaufen es billiger – so das gängige, gleich einer tibetanischen Gebetsmühle wiederholte Vorurteil über jenes Land, das durch Konfuzius zwar das Denken in Hirarchien verinnerlicht hat, aber auch eine Sturheit im Selbst – Machen und Sich-Nicht-Reinreden-Lassen.
Zwei Beispiele: Chinesischer Wein ist relativ neu auf dem Markt und orientiert sich natürlich am chinesischen Geschmack, der Süßes bevorzugt. Je teurer, desto französisischer werden die Weine, und man kann einen aus der Bordeaux – Traube Cabernet Sauvignon gekelterten zehn Jahre alten intensiven Roten für 2-3 Euro kaufen, von GREAT WALL zum Beispiel, im Supermarkt.
Das High End Produkt von Petrus aus dem Bordeaux kostet in der Mall des Lufthansa-Centers 4.850 Euro, kein Scherz, draussen parken schwarze Merzedes Limousinen in Reihe, mit schwarzen Nummernschildern von Parteimitgliedern. Das ist vermutlich das Geheimnis von Privilegien, dass sie nichts mit dem Inhalt, nur mit der Performance zu tun haben. Keine Ahnung was das sein soll, aber ich kanns mir leisten. Ein Leben. Weisswein im Supermarkt geht so: DYNASTY dry white wine. This wine is made from world-noted grape varieties. Moderately drinking this wine is good to your health. Klingt schlimm, schmeckt gut.
World-Noted Varieties bringt mich zum zweiten Erlebnis, ein Konzert mit dem Staatlichen Chinesischen Filmmusik-Orchester im Grossen Saal des Kulturpalastes für Nationale Minoritäten. Das allein war abgründig genug, aus dem Oskar-Filmmusik-Konzert eine Veranstaltung nationaler Minderheiten zu machen. In der Pause aber geschah es: die im Foyer hängenden Fotos vergangener Konzerte, bunte Gruppen mit fremdartigem Instrumentarium auf der Bühne, wurden alle mit schwarzer Plastikfolie, besser gesagt zerschnittenen Plastiktüten, verhängt, vier Tesastreifen in die Ecken auf die Wand, fertig, es waren Uniformierte die diese seltsame Performance aufführten, und da wir die einzigen Westler waren war nichts rauszukriegen.
Noch merkwürdiger drinnen: Das Orchester, von spärlichstem Appplaus empfangen, ich meine müdes, keine fünf Sekunden dauerndes zeitlupenhaftes Klatschen, spielte zu irgendwelchen Filmausschnitten mehr schlecht als recht eine krude Mischung von 80er Jahre Hollywood Musiken, und das bei Kartenpreisen, die bei 18 Euro begannen, teuer für hiesige Verhältnisse, eher leer der Saal. In der Pause sah ich, es waren chinesische Noten, das hatte jemand abgeschrieben von einer DVD, klang an sich gut, die Filmausschnitte hatten ja zum Teil englische, zum Teil chinesische Untertitel, vermutlich von selbiger DVD, es war nicht synchron, Godard hätte gejubelt, son et image at it’s best. So war mit einfachsten Mitteln etwas Neues entstanden, unbeholfen, ungewollt. Nach Spielbergs E.T., Star Wars und ein paar anderen dann eine bezaubernde junge Sologeigerin, Pailetten-Oberteil, Musik zu Schindler’s List, im Film haufenweise Tote auf Holzkarren, Gruben, Auschwitz, die Musik zuckersüß, gerade noch Star Wars und Vom Winde verweht, das Publikum gleichgültig, derselbe Kurzapplaus, nächste Nummer.
Gestern hat Spielberg seine Regie für die Eröffnung der Olympischen Spiele in Beijing abgesagt, Grund: der Sudan und das Menschenrechtsverständnis Chinas. “An diesem Punkt darf meine Zeit und Energie nicht für olympische Zeremonien aufgewendet werden. Es geht darum, alles dafür zu tun, dass den unbeschreiblichen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die weiter in Dafur passieren, endlich Einhalt geboten wird.” Ich bin gespannt wie er das tun will – hinfahren und helfen? Oder bessere Filme machen?
Beim Thema Menschenrechte ist die Kommunistische Partei Chinas sehr hellhörig. Heute stand in der englischssprachigen staatlichen Zeitung China Daily, dass man Spielbergs Entscheidung bedaure, sich von einem Amerikaner politisch aber nicht reinreden lasse. Klar, es war ein Fehler von Anfang an, sich mit diesem Hollywood-Namen schmücken zu wollen. 1,5 Milliarden Menschen, und keiner kann die Show machen? Wie wäre Hilfe aus Nordkorea, Arirang ist Olympia, eine Veranstaltung für militärischen Darwinismus, in Perfektion. Das Publikum wurde erst bei den beiden Zugaben der chinesischen Oscar-Filmmusiknacht freundlicher, vor allem, als zum Radetzkymarsch rhythmisch mitgeklatscht werden durfte.
Das aber hat mit den Oskars nichts und mit Filmmusik nur insofern etwas zu tun, als das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker das vermutlich meistgeguckte Fernsehereignis weltweit ist, auch vom staatlichen chinesichen Fernsehen eingekauft übrigens. Also doch sowas wie europäischer Film, denn die Walzer und Märsche sind von österreichischer Fremdenverkehrswerbung durchsetzt, das ganze ein vermutlich ähnlich unverständlicher Ritus wie Hollywood, und ich meine jetzt nicht die Tatsache, das das chinesische Neujahr letzte Woche stattfand, mit irrem Geknalle übrigens, an dem sich vor allem die Alten zu freuen schienen.
1 Kommentar
1 mg am 28. Februar, 2008 um 13:16
Eine kleine spitzfindische Korrektur: Schwarze Nummernschilder haben in China nicht Fahrzeuge von Parteimitgliedern, sondern Fahrzeuge von Ausländern.
Was sagen Sie dazu?