Wem gehören die Wörter?
Die größte Schwierigkeit liegt darin zu bestimmen, was genau ein Plagiat ist. Im Urheberrecht etwa kommt der Begriff nicht vor. Die Hochschulrektorenkonferenz, ein Zusammenschluss fast aller staatlichen und staatlich anerkannten Universitäten und Hochschulen in Deutschland, hat in einer Empfehlung an die deutschen Universitäten das Plagiat definiert als „unbefugte Verwertung unter Anmaßung der Autorschaft“. Verwertung ist hier nicht nur im kommerziellen Sinn gemeint, sondern würde auch dann vorliegen, wenn jemand die Idee, Hypothese, Theorie oder ähnliches eines anderen Autoren in eine eigene Arbeit übernimmt, ohne diesen ursprünglichen Autoren zu nennen.
Bereits an diesem Beispiel wird deutlich, wie schwierig sich derartige Definitionen im Alltag anwenden lassen. So ist es gerade in der Wissenschaft nicht nur üblich, sondern es wird ausdrücklich gefordert, dass man auf vorliegende Erkenntnisse aufzubaut, um neue zu entwickeln. „Wir können deshalb so weit sehen, weil wir auf den Schultern von Giganten stehen“, lautet das berühmt gewordene Gleichnis, das diese Art des wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritts beschreibt.
Dieses Gleichnis wird gemeinhin Isaac Newton zugeschrieben, doch es ist belegt, dass es vor ihm bereits der römische Dichter Lucan, der französische Philosoph Bernhard von Chartres, der spanische Theologe Didacus Stella und der englische Schriftsteller Robert Burton verwendet hatten. Angeblich geht es zurück auf den Mythos von Kedalion, der auf den Schultern des blinden Riesen Orion saß und ihn führte.
Ist Newton also ein Plagiator? Hat er bewusst einen Ausspruch übernommen, dessen Schöpfer er kannte, ohne ihm die entsprechende Anerkennung zu zollen? Oder ist er allein auf die Idee gekommen, ein solches Gleichnis zu entwerfen? Wenn ja, ist sie ihm deshalb gekommen, weil er irgendwann einmal ein ähnliches Gleichnis gelesen oder erzählt bekommen hatte? Wenn ja, konnte er sich noch bewusst daran erinnern? Oder hat er die Idee für seine eigene, originäre gehalten?
Das Beispiel zeigt, wie schwierig es ist, im konkreten Fall zu bestimmen, ob es sich um bei einem Text um ein Plagiat handelt oder nicht.
Es ist unmöglich, immer alle Erkenntnisse und alles Wissen, das man in seinen eigenen Texten verwenden möchte, einem „ursprünglichen“ Schöpfer zuzuschreiben – selbst wenn man davon ausginge, dass es so etwas überhaupt gibt. Darf man nur dann ein Gedicht in Sonettform schreiben, wenn man darauf hinweist, dass Giacomo da Lentini sie erfunden hat – obwohl das noch nicht einmal abschließend geklärt werden kann? Oder nur dann schreiben, dass die Erde um die Sonne kreist, wenn man sich auf Nikolaus Kopernikus bezieht – ohne dessen Vorgänger Nikolaus von Kues und Regiomontanus zu nennen, auf deren Lehren sich Kopernikus berief?
Niemand käme auf die Idee, von einem Plagiat zu sprechen, wenn jemand den neuen Roman einer erfolgreichen Autorin ohne ihre Erlaubnis kopiert und verkauft, um damit Geld zu verdienen. Denn damit das ein Geschäft wird, muss die Autorin ja gerade genannt sein, weil sie der Anreiz ist, das Buch zu kaufen. Eine solche Kopie wäre ein ganz offensichtlicher Verstoß gegen das Urheberrecht und der Kopierer würde, wenn erwischt, bestraft. Aber ein Plagiat wäre es nicht, denn der Kopierer hätte ja nicht behauptet, selber Autor des Buches zu sein.
Plagiieren ist nicht gleich Kopieren
Es ist denkbar, dass jemand den Vorwurf erhebt, bei einem Buch handle es sich um ein Plagiat, obwohl nicht ein einziger Satz wortgleich von einem anderen übernommen wurde. Ein Beispiel dafür ist der Rechtsstreit zwischen dem Bestsellerautoren Dan Brown und den Wissenschaftlern Richard Leigh und Michael Baigent. Leigh und Baigent werfen Brown vor, geschichtliche Hintergründe über den heiligen Gral und die biblische Figur der Maria Magdalena aus ihrem Werk übernommen und für den Bestseller „Sakrileg“ verwendet zu haben.
An diesem Fall kann man schön die Grenzen des Urheberrechts erkennen, denn selbst wenn Brown getan hätte, was ihm vorgeworfen wird, hätte er wahrscheinlich nicht das Urheberrecht verletzt. Denn Tatsachen – wie etwa geschichtliche Hintergründe – sind, jedenfalls nach deutschem Urheberrecht, nicht geschützt, sondern Gemeingut und dürfen von jedem verwendet werden. Wann es sich um derartige Tatsachen handelt, kann nur im Einzelfall entschieden werden.
Im Allgemeinen gilt: Ideen sind durch das Urheberrecht nicht geschützt, sondern ihr Ausdruck. Diese Grenze ist bisweilen – vor allem für Laien – schwer zu ziehen, denn ein Ausdruck muss nicht materieller Art sein.
So ist ein Musikstück, das ein Musiker vor Publikum aufführt, aber nicht als Noten oder Text niedergeschrieben hat, urheberrechtlich geschützt. Würde jemand diese Aufführung ohne Erlaubnis des Musikers aufnehmen und CDs davon verkaufen, würde er damit dessen Urheberrecht verletzen. Aber kein Musiker würde das Urheberrecht eines anderen verletzen, wenn er einen Liedtext schriebe, in dem sich zwei Jungen in ein Mädchen verlieben und darüber Streit bekämen – auch wenn diese Grundidee schon in Hunderten von anderen Songs auftaucht.
Wirklich eindeutig ist ein Plagiat oft dann, wenn Teile eines Werks identisch in ein anderes übernommen wurden. Dann ist meist auch das Urheberrecht betroffen, denn es handelt sich um die so genannte vorsätzliche Anmaßung der Urheberschaft an einem fremden Werk. Das ist ein Eingriff in das „Recht auf Anerkennung der Urheberschaft“, also in ein Urheberpersönlichkeitsrecht, das in Paragraf 13 („Anerkennung der Urheberschaft“) des Urheberrechtsgesetzes festgeschrieben ist.
Es ist urheberrechtlich unerheblich, ob der Plagiator sich das fremde Werk gesamt oder nur in Teilen anmaßt. Auch spielt die absolute Länge des übernommenen Texts keine Rolle. Das berühmte Gedicht „Ein Gleiches“ von Johann Wolfgang von Goethe ist dafür ein gutes Bespiel. In der Literaturwissenschaft wurde und wird darüber gestritten, ob es sich dabei um ein Plagiat eines Gedichts von Johann Daniel Falk handelt.
Falk | Goethe |
In allen Wäldern hörest Du keinen Laut! Die Vöglein schlafen im Walde, Warte nur! Balde, balde Schläfst auch Du |
Über allen Gipfeln ist Ruh, In allen Wipfeln Spürest du kaum ein Hauch; Die Vöglein schweigen im Walde. Warte nur, balde Ruhest du auch |
Auch wenn Goethes Gedicht nur 24 Wörter lang ist und kein einziger Vers identisch ist mit einem aus Falks Gedicht, würden wohl die meisten davon ausgehen, dass es sich hier um ein Plagiat handelt.
Das heißt, es spielt im Zweifelsfall keine Rolle, ob ein Plagiator ein fremdes Werk identisch oder in abgewandelter Form übernimmt. Ändert jemand den Text eines anderen, um ihn dann unter eigenem Namen zu veröffentlichen, hat man es mit einem Plagiat zu tun, was erst einmal ein ethisches Problem ist. Zusätzlich liegt aber unter Umständen ein Verstoß gegen das Bearbeitungsrecht vor, das juristisch verfolgt werden kann.
Nicht um ein Plagiat – und damit auch nicht um eine Urheberrechtsverletzung – handelt es sich bei der „freien Benutzung“ eines fremden Werkes. Die liegt dann vor, wenn man sich von einem fremden Werk nur inspirieren lässt, um ein neues, selbständiges Werk zu schaffen. Dieses neue Werk muss aber selbst alle Voraussetzungen eines geistigen Werkes aufweisen und die schöpferische Leistung des benutzten Werks in den Hintergrund treten lassen.
In der Praxis ist das außerordentlich schwierig abzugrenzen, wie die vorgenannten Beispiele gezeigt haben. An ihnen ist gut zu erkennen, dass in vielen Fällen das Plagiat eher ein ethisches als ein rechtliches Problem ist. Übernimmt etwa ein Wissenschaftler den Gedanken eines anderen, ohne auf diesen anderen zu verweisen, spricht man von einem Plagiat, obwohl Ideen nicht schützbar sind. Auch dass der Wissenschaftler eine völlig andere Formulierung gewählt hat, um die Idee zu beschreiben, das Vorgehen also keine Urheberrechtsverletzung wäre, würde ihm nicht helfen.
Wenn jemand den Text eines anderen vollständig übernimmt, würde man das ebenfalls ein Plagiat nennen, – obwohl das unter Umständen gar kein Verstoß gegen das Urheberrecht wäre. Im ersten Moment hört sich das völlig abwegig an, aber man stelle sich vor, jemand nimmt einen Text Goethes und schreibt seinen eigenen Namen darunter. Der Urheberrechtsschutz auf Goethes Texte ist längst ausgelaufen, so dass kein Verstoß gegen das Urheberrecht vorläge, aber selbstverständlich ein Plagiat.
Die Empfehlung der Hochschulrektorenkonferenz, in der auch zu Beginn zitierte Definition vorgeschlagen wird („die unbefugte Verwertung unter Anmaßung der Autorschaft“), stuft das Plagiat als „schwerwiegendes Fehlverhalten“ ein. Wird es nachgewiesen, können akademische Grade und die Lehrbefugnis entzogen werden, außerdem können arbeits-, zivil-, straf- oder ordnungsrechtliche Maßnahmen folgen.
Liegt auch ein Verstoß gegen das Urheberrecht vor, also gegen das Recht auf Anerkennung der Urheberschaft oder das Bearbeitungsrecht, kann der Plagiator auf Unterlassung und Schadensersatz verklagt werden.
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