EU-Copyright-Reform – Neelie Kroes ist noch im Frage-Modus
“Unsere gesamte Wirtschaft verpasst neue Wachstumschancen”, kritisiert EU-Kommissarin Neelie Kroes (Digitale Agenda) mit Blick auf ausbleibende Urheberrechtsreformen in Europa. Konkrete Vorschläge macht sie noch nicht.
Als Wettbewerbskommissarin war Neelie Kroes eine Art Star in der Brüsseler Behörde. In ihrer Amtszeit erreichten beispielsweise die Wettbewerbsstrafen Rekordhöhen. Gegen den US-Chiphersteller Intel verhängte Brüssel schon mal das unglaubliche Bußgeld von 1,06 Milliarden Euro. Nicht umsonst trägt Kroes seit damals den Beinamen “Steely Neelie”.
Seit Februar 2010 ist die liberale Niederländerin nun Vize-Präsidentin der Kommission und zuständig für Europas Digitalwirtschaft. Und irgendwie konnte man bei ihrem Amtsantritt denken – ‘Steely Neely rockt jetzt das Internet’ – oder so was Ähnliches, in der Richtung.
Aber so richtig scheint Kroes nicht voranzukommen. Das Lamento bleibt Dauerzustand: die USA haben Europa mit ihren Internetkonzernen abgehängt.
Dass Kroes das durchaus wurmt, zeigt eine Rede, die sie Anfang September bei der Denkfabrik „The Lisbon Council“ in Brüssel hielt. Kroes beschwert sich – und nimmt eine „Wachstumsbremse“ ins Visier: das Urheberrecht.
Die bisherige EU-Copyright-Richtlinie (2004/48/EG) entwickelten die Europäer vor 14 Jahren. In Zeiten des Digitalen Wandels also vor einer Ewigkeit. Damals gab es noch kein Youtube und Facebook-Gründer Mark Zuckerberg war 14 Jahre alt, erinnert sich Kroes. Heute teilen etwa eine Milliarde Menschen auf Facebook Fotos, Videos und Ideen. Auf Youtube laden Nutzer pro Sekunde eine Stunde Videomaterial hoch.
„Die Veränderung ist schnell, tiefgreifend, und eine große Chance für den kreativen Sektor“, sagt Kroes – und beklagt, dass digitale Möglichkeiten nicht genutzt werden – auch weil das Urheberrecht in der EU uneinheitlich, Â kompliziert und „veraltet“ sei. „Jeder Tag, an dem wir nicht reagieren, ist ein vertaner Tag. Die Verbraucher verpassen einen einfachen, legalen Zugriff auf ihre Lieblings-Produkte. Die Kreativwirtschaft verpasst den Zugang zu neuen Märkten, neuen Innovationen und neuen Chancen. Wir alle verpassen neue Wege, unser kulturelles Erbe zu teilen, zu erinnern und zu schätzen. Unsere gesamte Wirtschaft verpasst neue Wachstumschancen.“ Und Kroes‘ Beschwerde ist noch nicht zu Ende. Ganz Kommissarin appelliert sie an Europas „Wirtschaftspatriotismus“: „Den Ruhm und die Gewinne nehmen sich amerikanische Unternehmen, nicht europäische.“
Kroes fordert also in Punkto Copyright: „Wir brauchen eine gemeinsame europäische Lösung, um die Fragmentierung zu vermeiden und Vorteile für einen europäischen digitalen Binnenmarkt zu nutzen.“
So weit, so gut: Â Reformen, am besten europäisch, nicht national. Als Innovationstreiber. Nur welche, verrät Kroes nicht. Stattdessen verweist Kroes – Â die an anderer Stelle schon mal völlig undiplomatisch über einen Euro-Austritt Griechenlands fabuliert – auf ihren Kabinettskollegen Michel Barnier. Der Binnenmarktkommissar bereite eine Revision der bisherigen EU-Copyright-Richtlinie vor. Die Prüfung gehört zu einer ganzen Strategie namens:Â “Ein Binnenmarkt für Rechte des geistigen Eigentums.” (Mai 2011). Wir müssen uns also auf die üblichen EU-Prozesse einstellen, die jahrelangen, mühsamen, und uns durch Papierberge kämpfen, um mehr über die große EU-Copyright-Reform zu erfahren, und vielliecht sogar daran teilzuhaben.
Und am Ende formuliert Kroes salomonisch und bürgernah: „Ich bin offen für Ideen aller Beteiligten: Von Künstlern, Verbrauchern, Unternehmen, Forschern. Nur gemeinsam können wir uns auf die Zukunft einstellen, und Innovation und Wachstum fördern.“ Das ist natürlich grundvernünftig, aber auch EU-Sprech + Urheberrechts-Debatten-Floskelei, und für Steely Neely-Fans ein wenig langweilig. Kroes fragt immer noch: „Ist unser System konsistent und relevant in der realen Welt?“. Sie ist noch lange nicht im Antwort-Modus.
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