Schicht! Arbeitsreportagen für die Endzeit
Schon im November 2007 erschienen ist das Buch “Schicht. Arbeitsreportagen für die Endzeit”, das im Rahmen des Projekt “Arbeit in Zukunft” der Bundeskulturstiftung, die auch unser Projekt fördert, entstanden ist. Schreiben durften dort – unter anderen – Dietmar Dath, Kathrin Röggla, Peter Glaser, Gabriele Goettle, Feridun Zaimoglu, Jörg Schröder und Barbara Kalender und noch einige mehr.
Viele der Autoren waren auch eingeladen auf dem sogenannten Festival-Camp “9to5. Wir nennen es Arbeit”, das von Holm Friebe (der zwar nicht selbst zum Buch beigetragen hat, aber von Peter Glaser als “digitaler Arbyter” protraitiert wird) organisiert wurde. Holm Friebe wiederum ist zusammen mit Sascha Lobo Autor des Buches “Wir nennen es Arbeit. Etwas besseres als die Festanstellung finden wir überall” (das im August auch als Taschenbuch rauskommt, dazu dann mehr wenn es soweit ist).
Aber wieder zurück zu “Schicht!”. Was aber können literarische Reportagen zum Diskurs (Gerede) über Arbeit beitragen, der in den letzten Jahren inflationär die Feuilletons und prekarisierten Kulturarbeiter beschäftigt? Wie schlagen sich die neuen Arbeitsformen in der Literatur nieder? Oder gibt es sie gar nicht und alle ackern weiterhin vor sich hin? Schauen wir mal.
Die Texte, die in „Schicht“ versammelt sind, sind zum großen Teil relativ journalistisch geschrieben. Gut, relative literarische Reportagen, aber letzten Endes ist ja die Reportage eine journalistsche Form. Das heißt aber auch, dass viele Texte doch die spezielle spekulative Distanz und fiktionale Verfremdung (die aber bedeuteten kann, dass, wenn man sich als Leserin mit fiktionalen Figuren identifizieren kann, eine größere Nähe und Wiedererkennbarkeit entsteht – so in der Art “Genauso ist es auch bei mir”). Bei Reportagen schaut man immer von Außen auf die Dinge, sie sind realistischer im Sinne der Darstellung von Wirklichkeit. Von literarischeren Texten könnte man sich ein wenig mehr Spekulation und Spannung versprechen, eine andere Sicht auf die Dinge, überraschende Erkenntnisse.
Um nicht ungerecht zu sein, es gibt schon einige experimentellere Texte, etwa Kathrin Rögglas in durchgehender Kleinschreibung geschriebener Text über Selbsthilfegruppen in Kalifornien, wobei mir da der Bezug zum Thema Arbeit nicht ganz klar ist – außer es geht um die Arbeit der Schriftstellerin, die durch ihren Job die Gelegenheit hat alle möglichen seltsamen Zusammenkünfte zu besuchen, oder Dietmar Daths Science Fiction-, oder eher Near Future-, Geschichte über Wissenschaftler und Macht mit dem Titel „Contra Naturam“ und dem noch schöneren Untertitel „Einblick in die Abläufe der berufsmäßigen Befassung mit den Schwierigkeiten der Ausweitung der Herrschaft des Menschen über die Natur bei gleichzeitiger Bemühung um die Einschränkung der Herrschaft des Menschen über den Menschen“. Und darum geht es dann auch.
Im Ganzen bleibt es aber bei einer Ansammlung verschiedenster Menschen, die mehr oder weniger seltsame Dinge tun: Bundestagsabgeordneten-Assistent, Reitlehrerin, Ziegenhirte, Zukunftsforscher, Bettler, Zollbeamter, Sternekoch-Lehrling und so weiter. Die Auswahl zeigt, dass es durchaus meistens um ganz traditionelle Berufe geht, also nichts mit “Arbeit 2.0” oder so. Die kommt natürlich auch vor. Peter Glaser bietet drei Portraits von Leuten, die das machen, was er Arbyte nennt, also digitale Arbeit mit Einsen und Nullen. Das ist einmal Tim Pritlove, CCC-Aktivist, der schon erwähnte Holm Friebe und Marina Kern, Künstlerin und Unternehmerin. So richtig viel erfährt man dort nicht, jedenfalls nicht, wenn man selbst eine zerklüfftete Patchwork-Biografie im Kulturbereich sein eigen nennt. Ja, man macht viele verschiedene Dinge und ja, man verdient dabei nicht viel Geld, von Altersicherung ganz zu schweigen. Dabei wäre das ja mal interessant gewesen. Wenn wir dann in 20 Jahren alle digitale Boheme sind, wovon werden diejenigen von uns leben, die alt geworden sind? Andererseits bleiben ja die meisten Leute doch bei ihren ganz normalen Berufen.
Andere digitale Arbeit präsentiert der Text von Feridun Zaimoglu: nämlich einen Internet-Porno-Betrieb, der ähnlich spießig daherkommt wie man sich das aus der RTL-Reportage kennt. Komischerweise dürfen im Text nur die Männer was sagen, vor allem der Geschäftsführer, aber auch der Techniker darf mal den Mund aufmachen. Ich bin nicht sicher, ob das an der Branche oder an Zaimoglu liegt, da ich nicht genug von ihm gelesen habe. Andererseits: wäre ihm ein Zacken aus der Krone gefallen, wenn er die Mädels auch mal was gefragt hätte?
Überhaupt: es scheinen bei “Schicht!” hauptsächlich die Männer zu arbeiten. Dass den zwölf Autoren nur fünf Autorinnen gegenüberstehen, nicht gut, aber meinetwegen; dass aber auch bei der Darstellung der Arbeitsverhältnisse nur zwei Frauen explizit im Mittelpunkt stehen (Juli Zehs Reitlehrerin in “Joe Happy” und Marina Kern bei Peter Glaser), vielleicht sonst mal im Hintergrund vorkommen, es aber jede Menge Männer gibt, die in ihren Tätigkeiten portraitiert werden, das finde ich doch schon merkwürdig. Ist ja nicht so, als ob Frauen nicht arbeiten. Aber eine Lidl-Verkäuferin zu portraitieren, ist wohl nicht spannend genug. Da geht man lieber in einen Pornoladen und ignoriert die Frauen.
Von einer aufklärerischen Literatur wie in den 70ern, als linke Schriftsteller in die Betriebe gingen, ist das weit entfernt. Letztendlich spiegelt “Schicht!” die Ratlosigkeit der Gesellschaft: Keiner weiß wie das wird mit der Arbeit, außer problematisch. Da können auch Schriftsteller nichts dran ändern.
P.S. Es gibt aber ein kleines Schmankler in Form einer Audioaufzeichnung einer Stellungnahme von Diethmar Dath (MP3, knapp 11 MB), die dieser während einer Lesung aus dem Buch von sich gegebnen hat. Furios stellt er darin die Absurditäten unser Gesellschaft bloß: “Wir sind hier, das wollte ich noch von der Seite einwerfen, vielleicht überhaupt das letzte Mal zusammengekommen, um über diese alte Geschichte von der Arbeit, der Lohnarbeit, der abhängigen Beschäftigung, der Scheinselbstständigkeit und wie der ganze Unrat heißt, in einer Art und Weise nachzusinnen, die so aussehen möchte, als handele es sich bei dieser ganzen Sache um Probleme.” (hier auch als Stream)
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