BKA vs. Anonymous: „Die Hausdurchsuchungen waren gewagt“
Der auf Fragen des Internetrechts spezialisierte Rechtsanwalt Udo Vetter hat die Hausdurchsuchungen bei mutmaßlichen Teilnehmern von Anonymous-Aktionen kritisiert. „Ich habe das Gefühl, die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt wollte hier das gesellschaftspolitische Zeichen setzen, dass Anonymus-Teilnehmer mit harten – und wie ich finde überzogenen – Maßnahmen rechnen müssen“, sagte Vetter am Montag gegenüber iRights.info. „Doch es ist ist nicht die Aufgabe einer Staatsanwaltschaft, Politik zu machen oder Angst und Schrecken zu verbreiten."
Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt: "Internet kein rechtsfreier Raum"
Das Bundeskriminalamt (BKA) hatte Mitte Juni bundesweit Wohnungen von 106 Verdächtigen durchsucht und Computer beschlagnahmt. Die Beschuldigten sollen im Dezember gemeinsam den Server der Musikverwertungsgesellschaft GEMA attackiert haben. Anonymous-Teilnehmer hatten zuvor auf Facebook zu der DDoS-Attacke (Distributed Denial of Service) aufgerufen. Ein Link führte auf eine Seite, auf der sich Internetnutzer durch Drücken eines „Fire-Button“ aktiv an der Attacke beteiligten, heißt es von Seiten der Behörden. Ziel sei es gewesen, die Webseiten der GEMA unerreichbar zu machen. Demnach liege Computersabotage (§ 303b StGB) vor. Anhand der Logdaten des angegriffenen Servers konnten die Ermittler die IP-Adresse und die Telefonanschlüsse der Tatverdächtigen ermitteln. Hinter dem Angriff werden vor allem Jugendliche vermutet.
„Die Ermittlungen (…) verdeutlichen, dass das Internet kein ‚rechtsfreier Raum‘ ist und Nutzer, die sich an illegalen Aktivitäten im Internet beteiligen, mit konsequenter Verfolgung durch die Ermittlungsbehörden rechnen müssen“, heißt es in einer Pressemitteilung der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main, die federführend für die bundesweiten Hausdurchsuchungen verantwortlich war.
Eingriff in die Grundrechte – „Eine Hausdurchsuchung ist kein Pappenstiel”
Der Rechtsanwalt Vetter kritisiert dagegen, die Staatsanwaltschaft habe sich mit ihren Maßnahmen auf „sehr glattes Parkett“ begeben. „Eine Hausdurchsuchung ist als Verletzung der Privatsphäre eine der gravierendsten Eingriffe in die Grundrechte“, so Vetter. „Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit müssen Hausdurchsuchungen angemessen und erforderlich sein.“ Für die betroffenen Familien sei eine Hausdurchsuchung „kein Pappenstiel“.
Prinzipiell ist Vetter zufolge unklar, inwieweit das bloße Klicken eines Links schon den Strafstandbestand der Computersabotage erfüllen kann. Der Tatbeitrag des Einzelnen sei zudem marginal. Auch die Beweisführung werde schwierig. Vetter bezweifelt, dass der Täter in einem Mehrpersonenhaushalt zweifelsfrei ermittelt werden kann, wenn niemand die Beteiligung gesteht. Außerdem sei fraglich, ob man auf den beschlagnahmten Computern noch nachvollziehen kann, welche Seiten im Dezember vergangenen Jahres aufgerufen wurde.
Besondere Härte im Fall Anonymous vs. GEMA?
Generell krisiert Vetter die Hausdurchsuchungen mit Blick auf den geringen Schaden. Von Seiten der GEMA heißt es, der Angriff habe zu „massiven Einschränkungen“ für Kunden und Mitarbeiter geführt. Allerdings war die GEMA-Webpräsenz zu keinem Zeitpunkt außer Funktion. Die Attacke verlangsamte nur den Zugriff auf einzelne Seiten. Rechtlich handele es sich um einen „fehlgeschlagenen Versuch“, heißt es im Dursuchungsbeschluss gegen die Verdächtigen, den die Bloggerin Doreen Kröber ins Netz gestellt hat. Vetter kommentiert: „Es ist gewagt, die Wohnungen von 106 Menschen zu durchsuchen, bloß weil jemand drei Sekunden länger warten muss, bis sich die FAQ-Seite der GEMA geöffnet hat.“
Vetter unterstellt, dass die Behörden im Fall mit besonderer Härte vorgingen, um politisch ein Zeichen gegen eine Protestbewegung zu setzen, die sich gegen eine zentrale Institution wie die GEMA richtet. „Ich vermute mal, man hätte diese martialischen Maßnahmen nicht ergriffen, hätte irgendjemand die Seite irgendeines mittelständischen Unternehmens ein wenig verlangsamt. Da wäre doch kein Staatsanwalt auf die Idee kommen, gegen eventuell Unschuldige eine Hausdurchsuchung durchzuziehen.“
Werden die Verfahren wegen geringer Schuld eingestellt?
Auch mit Blick auf die drohenden Strafen hinterfragt Vetter die Maßnahmen. Auf die Frage, mit welchen Strafen die Beteiligten rechnen müssen, erklärte die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt gegenüber iRight.info: „Der Straftatbestand der Computersabotage sieht im Grundtatbestand eine Strafandrohung von Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe vor.“ Vetter hält es allerdings für absout unwahrscheinlich, dass die Tat eine Freiheitsstrafe von drei Jahren nach sich ziehen könnte. Die Höchststrafe für Computersabotage werde vielleicht fällig, „wenn Jemand das Zahlungssystem von zwei Banken gleichzeitig für mehrere Tage lahmlegt“.
Im Fall der Anonymous-Attacke gegen die GEMA rechnet Vetter damit, dass die Verfahren ohne Konsequenzen eingestellt werden. Sind die Täter Erwachsene, müssten sie vielleicht eine Geldstrafe von 100 Euro zahlen.
Anonymous-Video: „Wir sind ein digitaler Untergrund”
Vetter fordert, neu über die Legitimät von Protestformen im Internet nachzudenken. „Man kann auch hier den Maßstab der Grundrechte anlegen, und sich fragen, ob es im Internet nicht auch ein Demonstrationsrecht gibt", so Vetter. „Wenn sich Nutzer zusammenschließen um einem Unternehmen durch massenhafte Klicks zu sagen, wir finden nicht gut, was ihr macht, kann das auch eine Meinungsäußerung sein.“
Recht martialisch treten auch Anonymous-Aktivisten auf. „Das Kollektiv belächelt den Versuch, Aktivisten unseres Schlages einzuschüchtern”, erklären sie in einem Video zu den Hausdurchsuchungen. „Ihr werdet uns niemals alle kriegen.” Die Behörden hätten „Benzin in das Feuer der Revolution gegossen”. Man sei ein „digitaler Untergrund” und bereit, Opfer zu bringen. Die Macher des Videos wollen offenbar verhindern, dass Aktivisten nochmals über IP-Adressen identifiziert werden. „Wer sich seiner Sicherheit im Internet nicht vollkommen gewahr ist, sollte sich an keinen Server-Angriffen beteiligen", so der Rat an die "Brüder und Schwestern". Bei einer neuerlichen Anonymous-Attacke auf die Gema-Seiten im Juni verzichtete die Gema auf eine Anzeige, da keine IP-Adressen der Angreifer zu ermitteln waren.
Die Sozial- und Kulturanthropologin Gabriella Coleman (McGill-Universität Montreal) erforscht seit Jahren die Entwicklung der Anonymous-Bewegung und hat ihre Erkenntnisse jüngst in einem Essay zusammengefasst (deutsche Fassung auf Freitag.de). "Ein umfassendes und konsistentes Bild der Bewegung zu zeichnen, ist unmöglich", so Coleman. Vielleicht sei die Gruppe deshalb so gefürchtet und werde so heftig bekämpft.
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