ACTA: Netz-Bürgerrechtler werfen EU-Kommission Leseschwäche vor
In der Debatte um die Frage, ob das Anti-Piraterie-Abkommen ACTA mit EU-Recht vereinbar ist, werfen Netz-Bürgerrechtler der EU-Kommission nun einen „Mangel an elementaren Lesefähigkeiten” vor. Die Generaldirektion Handel der Kommission hat in der vergangenen Woche eine Stellungnahme veröffentlicht. Darin widersprach sie Rechtsexperten, die in einem gemeinsamen Appell an die Gesetzgeber dazu aufgerufen hatten, das Abkommen nicht zu ratifizieren, da es nicht mit EU-Recht vereinbar sei. Die EU-Kommission bestreitet das und übergehe wesentliche Punkte der Kritiker, heißt es beim Förderverein für eine Freie Informationelle Infrastruktur (FFII), der das Abkommen seit langem kritisch beobachtet. Die Kommission sei nicht in der Lage, ihre Argumentation überzeugend durchzuhalten, so das ACTA-Blog des FFII.
Ein wesentlicher Streitpunkt in der aktuellen Auseinandersetzung ist die Frage, ob das Abkommen über geltendes EU-Recht und internationale Verträge hinausgeht, denn dann wären weitere Regelungen notwendig. Die ACTA-Kritiker um Axel Metzger, Rechtsprofessor an der Uni Hannover, argumentieren, es gebe im Bereich des Strafrechts keine EU-Regelungen zur Durchsetzung geistigen Eigentums. Die EU-Kommission hat das in ihrer Stellungnahme auch eingeräumt.
Die Kommission vertritt allerdings den Standpunkt, die ACTA-Regelungen seien zwar mit dem EU-Rechtsbestand nicht ganz vergleichbar, das Abkommen sei aber dennoch mit europäischem Recht kompatibel. Viele der von den Rechtsexperten kritisierten Punkte seien lediglich Kann-Bestimmungen. „ACTA ist mit entsprechendem EU-Recht auf ganzer Linie vereinbar, auch wenn die Vertragsformeln im Entwurf nicht unmittelbar identisch sind”, heißt es in der Antwort der Kommission.
Der FFII-Vorwurf mangelnder Lesefähigkeit seitens der Kommission macht sich inbesondere an einer ACTA-Passage zum Schadensersatz bei Urheber- beziehungsweise Schutzrechtsverletzungen fest. Die Kommission habe die entsprechende Passage als Kann-Regelung interpretiert, während es sich tatsächlich um eine Muss-Regelung handele. Der FFII wie auch die Rechtsexperten des Appells sind der Ansicht, dass die vorgeschlagenen Berechnungsmodelle für die Schadensersatzhöhe mit einer EU-Richtlinie in Konflikt stehen und nicht dem tatsächlichen Schaden für die Rechteinhaber entsprechen.
Das Abkommen und die Art und Weise seiner Entstehung sind von Netzaktivisten immer wieder kritisiert worden, im Vergleich mit den ursprünglich vorgesehenen Regelungen handelt es sich beim endgültigen Vertragswerk um eine abgespeckte Version, die unter anderem keine Three-Strikes-Regelungen mehr vorsieht. Als Nächstes steht die Unterzeichnung des Vertragswerks bevor.
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